Zugunglück in Bayern
Fünftes Todesopfer gefunden

In Garmisch-Partenkirchen (D) ist am Freitag ein Regionalzug entgleist. Mindestens fünf Menschen sind ums Leben gekommen, Dutzende wurden verletzt. Am Samstag suchen die Einsatzkräfte noch immer nach Vermissten und kämpfen mit den Tücken einer schwierigen Bergung.
Publiziert: 03.06.2022 um 14:13 Uhr
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Aktualisiert: 04.06.2022 um 14:02 Uhr
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Die Bergung des Zuges in Deutschland gestaltet sich nach dem Unglück als schwierig.
Foto: keystone-sda.ch

Es ist der letzte Schultag vor den Pfingstferien, als gegen 12.15 Uhr in der Urlaubsregion Garmisch-Partenkirchen (D) ein Zug mit rund 140 Menschen, darunter vielen Kindern, entgleist. Drei Doppelstock-Waggons des Regionalzugs, der in Richtung München fuhr, kippen um, rutschen eine Böschung hinab und bleiben neben einer vielbefahrenen Bundesstrasse liegen.

Es ist eine Katastrophe, der sich die etwa 500 Retter stellen müssen. Zunächst ist die Rede von vier Toten und 40 Verletzten. «Die Menschen werden durch die Fenster gezogen», sagte der Bundespolizei-Sprecher. Mehrere Personen werden vermisst.

Am Samstagnachmittag folgt ein trauriges Update: Ein fünftes Todesopfer wurde gefunden. Die ersten drei Opfer konnten am Freitagabend unter einem Waggon geborgen werden. Ein vierter Mensch starb auf dem Weg ins Krankenhaus. Am Samstag – als ein Waggon angehoben werden kann – wird die fünfte Leiche in den Trümmern gefunden. Nach Informationen der «Bild» soll es sich um den vermissten Schüler handeln.

Waggons rutschten vom Damm

Es sind schreckliche Stunden für Angehörige, die zum Unglücksort in den Loisachauen eilen und dort auch seelsorgerisch betreut werden.

Auf Luftbildern ist zu erkennen, dass der Zug mit Doppelstockwagen auf einer einspurigen langgezogenen Kurve unterwegs war. Eine Weiche ist nicht zu sehen. Der Streckenabschnitt liegt erhöht auf einem Bahndamm, mehrere Waggons rutschten vom Damm in einen kleinen Bach. Die viel befahrene B2 führt genau daran vorbei.

Die Bergungsarbeiten gestalteten sich schwierig. Zwei Versuche, die Waggons anzuheben, scheiterten zunächst. Dabei seien auch Hebekissen zum Einsatz gekommen. Die Waggons seien «verdreht und verwunden», sagte der Polizeisprecher. «Das macht die Bergung so schwierig. Man muss Schritt für Schritt vorgehen», sagte der Sprecher.

Rettungskräfte mit Grossaufgebot vor Ort

Feuerwehr, Notärzte und Polizei sind mit einem Grossaufgebot vor Ort. «Es wurde Vollalarm für Feuerwehr und Rettungsdienst ausgelöst», sagte ein Sprecher der Rettungsleitstelle. Zwölf Rettungshelikopter sind im Einsatz, drei davon vom ADAC.

Ein amerikanischer Soldat war in einem der Autos auf der Strasse neben der Bahnstrecke und erzählte seine Eindrücke dem «Garmisch-Partenkirchner Tagblatt»: «Es war schrecklich», sagte er. «Einfach schrecklich. Plötzlich ist der Zug umgekippt.»

Die Bürgermeisterin von Garmisch-Partenkirchen, Elisabeth Koch, zeigte sich geschockt. «Es ist grauenvoll.» Auch der Landrat des gleichnamigen Landkreises, Anton Speer, rang mit den Worten. «Der Schock sitzt noch tief.»

Die Bahn sperrte die Strecke zwischen Garmisch-Partenkirchen und Oberau. Züge aus Richtung München wenden vorzeitig in Oberau. Aus Richtung Mittenwald wenden die Züge vorzeitig in Garmisch-Partenkirchen. Ersatzverkehr sei in Planung, hiess es auf Twitter.

Entsetzen im ganzen Land

In ganz Deutschland löst der Unfall Entsetzen aus. Bundeskanzler Olaf Scholz und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder sprachen den Angehörigen ihr Beileid aus. Bundesinnenministerin Nancy Faeser machte sich nach dem Abschluss der Innenministerkonferenz von Würzburg auf den Weg nach Garmisch-Partenkirchen.

Zunächst blieb unklar, wie es zu dem Unglück kam. Am Nachmittag liefen vor Ort die ersten Ermittlungen. Polizei und Staatsanwaltschaft wollten mit Hilfe von Sachverständigen des Eisenbahnbundesamts herausfinden, warum der Regionalzug auf der eingleisigen Strecke entgleist ist. Man stelle sich auf «langwierige Ermittlungen» ein, sagte ein Polizeisprecher.

Klar scheint, dass es keinen Zusammenstoss mit einem anderen Fahrzeug gab. Bayerns Verkehrsminister Christian Bernreiter sagte, am Unglück sei «kein zweiter Zug und kein anderes Fahrzeug beteiligt» gewesen. Die Strecke war erst 2013 und 2014 für den Stundentakt ausgelegt worden. Sie ist nach Angaben eines Bahnsprechers mit elektronischen Stellwerken und moderner Sicherungstechnik ausgerüstet.

Herausforderung für den Verkehr

Für die Region um die Zugspitze bedeutet das Unglück in den kommenden Tagen auch verkehrstechnisch eine grosse Herausforderung – auf einer Strecke, die ohnehin als Nadelöhr für Urlauber und Ausflügler bekannt ist. Nun waren die Bundesstrassen 2 und 23 gesperrt, zudem der letzte Abschnitt der Autobahn 95 von München nach Garmisch-Partenkirchen. Am Freitag bildeten sich lange Staus in der Region an der Grenze zu Österreich. Am Samstag beginnen in Bayern die Pfingstferien.

Dass die Bahnstrecke über Pfingsten nicht befahrbar sein wird, «das kann man schon sicher sagen», sagte Verkehrsminister Bernreiter. Er gehe davon aus, dass die Strecke mindestens eine Woche gesperrt ist.

Bundesverkehrsminister Volker Wissing und Bahnchef Richard Lutz wollen sich am Samstag vor Ort ein Bild machen. Die Bilder seien schrecklich und machten tief betroffen und sprachlos, sagte Lutz. Die Bahn unterstütze die Ermittlungen der Behörden nach besten Kräften. Der Freitag sei nicht der Tag, um über die Unfallursache zu spekulieren. Ob der Regionalzug wegen des neuen 9-Euro-Tickets besonders voll war, konnte niemand sagen. (man/oco/SDA)

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