Mit Exportschlagern wie den Astrid-Lindgren-Geschichten, dem Möbelhaus Ikea oder den Pop-Songs von Abba hat Schweden Kulturgeschichte geschrieben und gilt bei vielen als die Idylle schlechthin. Doch die heile Welt um Pippi Langstrumpf war einmal.
In den vergangenen sechs Jahren gab es in Schweden über 2500 Schiessereien. Es gibt kein anderes Land in Europa, in dem so viele Menschen mit Schusswaffen getötet werden. Allein im September erlagen zwölf Menschen den Kugeln. Täter und Opfer sind meist junge Männer aus Problemvierteln.
Experten sprechen von 30'000 Bandenmitgliedern
In Stockholm, Malmö und Göteborg, aber auch auf dem Land kommt es seit Jahren zu Gewalt durch verfeindete Banden. Es geht um alleingelassene Viertel, Schiessereien auf den Strassen und eine Polizei, die gerade einmal einen Bruchteil der Fälle aufklären kann, weil kaum ein Bewohner der Problemviertel mit ihr spricht. Die Politik hat den kriminellen Gruppierungen schon so oft den Kampf angesagt, bisher immer erfolglos. Experten schätzen die Zahl der Gangmitglieder heute auf rund 30'000. Der schwedische Ministerpräsident Ulf Kristersson (59) will nun sogar das Militär gegen die Banden einsetzen.
Schweden scheint die Bandenkriminalität einfach nicht in den Griff zu bekommen. Das Land gilt für seine skandinavischen Nachbarstaaten mittlerweile als Warnung dafür, wie man es bezüglich Einwanderung und Integration genau nicht machen darf. Dänemark, Norwegen und Finnland sprechen laut eines Berichts des «Tages-Anzeigers» mittlerweile offen von «schwedischen Verhältnissen», also einer Art gesellschaftlichem Albtraumzustand.
Banden breiten sich auch in Finnland aus
Die Angst ist gross, dass die Gewalt in die Nachbarländer überschwappt. Denn die Banden sind mittlerweile nicht mehr nur in Schweden aktiv. Man habe feststellen müssen, dass die Grenze zwischen Norwegen und Schweden praktisch unbewacht sei, sagte Trond Bruen Olsen, Leiter der Abteilung für organisierte Kriminalität bei der Kriminalpolizei in Oslo. Die Banden haben so natürlich leichtes Spiel.
Auch aus Finnland mehren sich die Berichte über zunehmende Bandenaktivitäten. Wie die Polizei vor kurzem mitteilte, habe die in Stockholm etablierte Gang Dödspatrullen (Todespatrouillen) im grossen Stil Drogen über die finnische Grenze geschmuggelt. Das Innenministerium warnt davor, dass weitere Banden nun ebenfalls Morgenluft witterten und versuchten in Helsinki Fuss zu fassen.
Schuld an der schwedischen Misere sind vor allem eine über Jahre hohe Konzentration von Immigranten in gewissen Wohnvierteln. In den vernachlässigten und verwahrlosten Quartieren haben sich Parallelgesellschaften etabliert. Die Politik mit ihren meist sozialdemokratischen Regierungen hat viel zu lange die Augen vor der Problematik verschlossen und bezahlt nun den Preis dafür.
Banden locken die Jungen mit schnellem Geld
Mit der Konsequenz, dass die Blocksiedlungen, die in den 60er-Jahren errichtet wurden, zu einem sozialen Brennpunkt mit steigendem Anteil schlecht integrierter Ausländer, tiefer Schulbildung und hoher Jugendarbeitslosigkeit geworden sind. Die meisten der Jugendlichen sehen für sich selber weder eine Perspektive noch einen Ausweg aus der misslichen Lage. Die Banden hingegen locken mit schnellem Geld und treffen in diesem Milieu wenig überraschend auf fruchtbaren Boden.
Für Schweden steht viel auf dem Spiel. Denn das Bild des idyllischen Sehnsuchtsortes hat erhebliche Risse bekommen. Ein Blick auf das weltweite Ranking der lebenswertesten Städte spricht Bände. Belegte Stockholm früher stets Spitzenplätze, so lieg man heute nur noch auf Rang 43. (ced)