Massive Folgen der Argentinien-Krise
Tango in den Abgrund

Keine Investoren, gestrichene Subventionen, massiv steigende Preise: Argentinien droht der grosse Absturz. BLICK erklärt, was im südamerikanischen Land falsch läuft.
Publiziert: 03.09.2018 um 22:48 Uhr
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Aktualisiert: 18.09.2018 um 00:41 Uhr
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Der Peso sackt immer mehr ab: Die Wechselbüros haben Hochbetrieb.
Foto: AFP
Guido Felder

Den Argentiniern bleibt dieses Jahr nichts erspart. Nach der Fussball-Pleite an der WM im Sommer droht den Gauchos das wirtschaftliche Desaster. Der Peso hat seit Anfang Jahr fast 54 Prozent an Wert verloren, Lebensmittel sind plötzlich viel teurer geworden, was vor allem die Armen und den Mittelstand trifft. Argentinien hat im Ausland über 200 Milliarden Dollar Schulden, die kaum beglichen werden können.

Verzweifelt sucht Präsident Mauricio Macri (59) von der konservativen Partei Propuesta Republicana nach Sparmassnahmen. Sein jüngster Vorschlag: Er will 13 Ministerien schliessen oder mit andern zusammenlegen. Zudem sollen Exportsteuern die Staatskasse füllen.

An der Krise ist nicht nur die langanhaltende Dürre schuld, auch politisch liegt einiges im Argen. Christian Berndt, Wirtschaftsgeograf an der Uni Zürich, beantwortet die wichtigsten Fragen. 

Was ist in Argentinien los?

Das Land ist mit einem dramatischen Verfall der Landeswährung Peso konfrontiert, verbunden mit anhaltend hohen Inflationsraten. Auf den globalen Finanzmärkten herrscht nach den voreiligen Vorschusslorbeeren beim Antritt der Regierung Macri 2015 ein grosser Vertrauensverlust. Um die ökonomische Situation in Griff zu kriegen und die Märkte zurückzugewinnen, griff Macri zum äussersten Mittel und suchte Hilfe beim Internationalen Währungsfonds. Dies verunsicherte die Märkte aber noch mehr.

Argentinische Republik Einwohner: 44,3 Millionen (Schweiz: 8,5 Millionen) Fläche: 2,78 Millionen km² (Schweiz: 41’285 km²) BIP pro Kopf*: 14’467 Dollar (Schweiz: 80’591 Dollar) Währung: Argentinischer Peso Unabhängigkeit: 9. Juli 1816 von Spanien Nationalfeiertag: 25. Mai
Foto: Infografik

Wie kam es dazu?

Nach der Ablösung der stärker marktkritischen Regierung von Cristina Fernández de Kirchner setzte Macri ein neoliberales Wirtschaftsprogramm um, das Argentinien wieder öffnen und so Zugang zu den globalen Finanzmärkten verschaffen sollte. Diese Politik wurde von Ländern wie den USA, Deutschland und der Schweiz sehr positiv aufgenommen. Sie führte aber im Land zu Kürzungen von Subventionen für die Energieversorgung, den Transport und anderen Sparten sowie auch zu stark steigenden Lebenshaltungskosten.

Wer leidet am meisten?

Die Zeche bezahlen die ärmeren Bevölkerungsschichten, aber auch grosse Teile des Mittelstands. Für viele Menschen ist das Leben in Argentinien fast unerschwinglich geworden. Hinzu kommt eine zunehmend repressive autoritäre Politik gegenüber Gewerkschaften, indigenen Gruppen, Frauen und generell gegen Menschen, die Widerstand leisten. 

Welche Fehler wurden gemacht?

Man setzte einseitig auf die Märkte, ohne auf die gesellschaftlichen Auswirkungen der politischen Massnahmen zu achten und wird nun von diesen Akteuren im Stich gelassen. So bleiben etwa versprochene ausländische Investitionen aus.

Könnte die Krise auf andere Länder übergreifen?

Im Zusammenspiel mit den Ereignissen in Brasilien und Venezuela in der Region und weltweit mit der Situation in der Türkei gibt es sicher grössere Unsicherheiten. Mehr wäre zum jetzigen Augenblick reine Spekulation.

Hat die Krise für Touristen Konsequenzen?

Auf den Tourismus haben solche Krisen in der Regel zuallerletzt negative Auswirkungen.

Wie findet Argentinien aus der Krise heraus?

Das Land leidet historisch darunter, dass es zu ungünstigen Bedingungen in die Weltwirtschaft eingebunden ist. Es dient vor allem als Lieferant von Bodenschätzen und landwirtschaftlichen Produkten. Wirkliche wirtschaftspolitische Alternativen fehlen oder sind im aktuellen politischen Umfeld kaum durchzusetzen.

* Christian Berndt (51) ist Professor für Wirtschaftsgeografie an der Universität Zürich. Er forscht regional zu Argentinien und Mexiko und interessiert sich im Rahmen des Forschungsprogramms «Geographies of Marketization» für globale Commodity-Märkte und Warenketten, marktbasierte Sozialpolitik und alternative Ökonomie.

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