Der Strand vor dem Imperial Marhaba Hotel ist voller Flecken, sie sind dunkelrot. Am Tag nach dem Attentat hat jemand versucht, die Spuren vom Vortag zu tilgen. Doch das Blut der 38 Toten, der vielen Verletzten will nicht versickern.
Auf einem Liegestuhl liegt ein verlassenes Buch. Ob der Besitzer es je fertig lesen kann, weiss niemand. Vielleicht lebt er nicht mehr. Wurde erschossen von einem tunesischen Extremisten mit dem Kampfnamen Abu Yahya al-Qayrawani, der nur ein Ziel hatte: So viele Menschen wie möglich zu töten.
Volker (59) und Sonja (54) Schumacher aus Deutschland lagen am Strand, als der Killer das Feuer eröffnete. Ein Bild mit dem Absender «Sky News» soll zeigen, wie er locker mit einer Kalaschnikow am Strand entlangspaziert. Seine Haare sind zerzaust, er trägt Shorts, ist braun gebrannt. Wie ein Urlauber. Dann eröffnet er das Feuer.
«Ich hörte die Schüsse, sah den Rauch. Mir war sofort klar, dass es ein Anschlag sein muss», sagt Volker Schumacher. Er und seine Frau kippen von ihren Liegestühlen, haben Todesangst. «Die Kugeln flogen so nah an uns vorbei, dass wir sie pfeifen hörten. Wir sahen, wie immer wieder Kugeln neben uns im Sand einschlugen.» Der Attentäter habe nicht auf einzelne Menschen gezielt, sondern den Lauf hin und her bewegt, während er mehrere Magazine verschoss. Sonja Schumacher: «Mein Mann hat nur noch geschrien: Renn! Renn! Wir rannten um unser Leben!»
Wie sie es aus dem Kugelhagel schafften, wissen die Eheleute nicht mehr genau. «Wir haben uns mit anderen Touristen im Wäscheraum eines Hotels verbarrikadiert. Einige haben geblutet.» Quälende Unsicherheit. Sonja Schumacher sagt: «Ich dachte, das wars jetzt. Ich dachte, ich sterbe. Wir wussten ja nicht, was draussen los ist!» Nach einer gefühlten Ewigkeit traut sich das Paar, die Wäschekammer zu verlassen. Sie gehen zurück ins «Imperial Marhaba». Auch dort hat der Killer gemordet, er schoss am Pool um sich, zündete laut Zeugenaussagen auch Granaten.
Volker Schumacher sagt: «Auf dem Weg zur Hotellobby habe ich an die zehn Leichen gesehen.» Dann schlugen die tunesischen Sicherheitskräfte zu: «Plötzlich waren überall dunkel gekleidete Männer mit Maschinengewehren. Wir mussten uns alle flach auf den Boden legen.»
Am Tag nach dem Massaker ist das Hotel, das bei Deutschen und Briten beliebt war, beinahe leer. Es ist schwer bewacht. In der Lobby herrscht gespenstische Stille. Überall in Aussenwänden und Glastüren sind Einschusslöcher zu sehen. Die Eingangshalle steht voller Gepäck. Freiwillig will hier niemand bleiben.
«Wer konnte, ist schon längst weg», sagen die Schumachers. Sie gehören zu den letzten Gästen. «Die anderen Touristen haben zum Teil noch Schlimmeres erlebt als wir. Oder sind verletzt. Deshalb haben wir ihnen den Vorzug bei der Abreise gegeben», erklärt Schumacher. Seine Frau starrt ins Leere. Sie hat Angst. Weil sie einen herrenlosen Rucksack am Pool gesehen hat. Als der Kellner kommt, zuckt sie zusammen. Sie wäre lieber gleich nach Hause geflogen. Doch ihr Mann will sich von blindem Terror nicht einschüchtern lassen.
So denken auch Ursula (66) und Josef (70) Strähl aus dem Kanton Solothurn. Sie gehören zu den wenigen Touristen, die bereits gestern wieder am Todesstrand liegen. Nur etwa 60 Meter entfernt von dem Ort, an dem der Attentäter plötzlich zu feuern begann.
Warum sind sie wieder am Ort des Schreckens? «Wenn wir jetzt nach Hause gehen, hat der Terrorist erreicht, was er wollte», sagen sie. Die beiden hatten riesiges Glück: Sie verliessen den Strand kurz vor dem Anschlag. Gingen zur Wassergymnastik-Stunde im Pool ihres Gästehauses unmittelbar neben dem Terror-Hotel.
Was passiert wäre, wenn sie geblieben wären, möchten sie sich gar nicht ausmalen: «Plötzlich hörte ich vom Pool aus Schüsse. Es war ein richtiges Rattern. Dann Schreie», sagt Josef Strähl. «Danach sind ganz viele Menschen an uns vorbei ins Hotel gerannt», so Ursula Strähl. Ihr Mann habe sie aus dem Wasser gezogen und in Sicherheit gebracht: «Der Schock sitzt tief. Wir müssen wirklich dem Herrgott danken!»
Es ist eine absurde Situation: Vertreter der Weltpresse drängen sich auf dem schmalen Strandabschnitt. Daneben versuchen die Strähls in Badehose und Bikini zwischen Sonnencreme und Sudoku den Schock ihres Lebens zu verarbeiten.
Auf der Liege nebenan: Ida Oertig (70) und Fin Burkhard (72) aus Wollerau SZ. Auch sie erlebten den Anschlag im Pool des Hotels direkt neben dem «Imperial Marhaba».
Fin Burkhard sagt: «Es war alles voller Rauch. Ein riesiges Chaos!» Die Ferienstimmung ist verflogen. Und doch sagt auch Ida Oertig den Satz, den SonntagsBlick von fast allen Touristen hörte: «Nächstes Jahr komme ich wieder zurück. Ich lasse keinen Terroristen über mein Leben bestimmen!»