Massaker in Paris
Der Tag der Trauer

«Das ist unser 9/11», sagen die Pariser. Das Attentat auf die Satire-Zeitschrift «Charlie Hebdo» erschüttert Frankreich in seinen Grundfesten.
Publiziert: 09.01.2015 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 19:31 Uhr
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Kerzen und Blumen im Gedenken an die Opfer.
Foto: Philippe Rossier
Von Adrian Meyer (Text) und Philippe Rossier (Fotos), Paris

Mittwochabend nach dem Attentat auf das Pariser Satiremagazin «Charlie Hebdo». Beim Métro-Ausgang in der Nähe des Rathauses in der Innenstadt das übliche Bild: Touristen, die auf Karten starren, ein küssendes Pärchen, Obdachlose, die sich einen Schlafplatz suchen. Und unzählige Menschen, die vor den Bistros rauchen und trinken.

Alltag aus Trotz. Weiter­machen, was sonst! Wie soll man begreifen, was geschehen ist? Keine zwei Kilometer entfernt im 11. Arrondissement im Osten der Stadt: tote Journalisten und Polizisten. Doch in diesem kurzen ­Moment scheint der Terror weit weg.

Der Schein von Norma­lität endet nach wenigen Schritten. Ein junger Mann geht nach Hause von seiner Mahnwache auf der Place de la République, wie Tausende andere Pariser ebenfalls. In seiner Hand hält er ein schwarzes Schild. «Je suis Charlie» steht darauf. Und man weiss: Frankreich wird nach diesem Tag nicht mehr dasselbe sein.

Auf Schock folgt Trauer

Am Morgen danach hat sich der Schock in Trauer gewandelt. Sie erfüllt die Menschen in Paris. In der unscheinbaren Rue Nicolas Appert, wo am Mittwoch die Schüsse hallten und zwölf Menschen ihr Leben lassen mussten, legen sie an einer Strassenecke Blumen nieder, zünden Kerzen an.

Eine Tricolore hängt neben Rosen im Wind. Der Tatort ist abgesperrt, voller Polizisten und Journalisten. Der Berater Laurent Hanout (49) geht durch die Menschenmenge, legt einen Strauss nieder. Und fängt an zu weinen. «Ich bin ein einfacher Bürger, ich bewundere diese Menschen für ihren Mut», sagt er. Für ihn, der selber gerne Cartoons zeichnet, ist der getötete Karikaturist Cabu ein Idol. «Ich bin so traurig. Ich hoffe, er ist nicht umsonst gestorben.»

Auch Verkaufsleiter Stéphane Amias (42) legt Blumen nieder. Danach eilt er davon, steigt in sein Auto, will weg. «Mir geht es sehr schlecht», sagt er, «das waren unser aller Brüder. Wir sind doch alle Franzosen, egal welchen Glaubens.» Er ist Jude. Es gehe bei diesem Attentat nicht um Religion, sagt er. Frankreich als Idee sei attackiert worden.

Angriff auf die Freiheit

Nicht nur weil Menschen wegen Zeichnungen starben, sind viele verzweifelt. Sondern weil sie dies als Angriff auf einen Grundpfeiler Frankreichs sehen: die Freiheit. Die Freiheit, zu sagen, was man denkt.

Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, auf diese Prinzipien haben die Franzosen ihre Nation gebaut. Das Attentat in Paris sehen sie daher als ihr eigenes 9/11. «Aber ich glaube daran: Wir Franzosen werden nun alle zusammenstehen», sagt Amias unter Tränen.

Auf dem Trottoir des Boulevards Richard Lenoir, dort wo die Attentäter einem verwundeten Polizisten in den Kopf schossen, liegen noch mehr Blumen. Daneben flackern Teelichter aus rotem Wachs. Sie wirken wie Blutstropfen. Passanten verharren minutenlang davor.

Die Mehrheit trauert. Nur wenige sind fähig, bereits Wut auf die Täter zu spüren. So wie Rentner René L. (82), der seit 50 Jahren in der Nachbarschaft wohnt. «Das ist eine Katastrophe», sagt er. «Man muss die Mörder fassen, vor ein Gericht stellen. Und dann hinrichten.»

Schweigeminute kurz vor Mittag

Place de la République, am Donnerstag kurz vor zwölf Uhr mittags. Die Pariser stehen für eine Schweigeminute zusammen. Schweigend halten sie sich an den Händen und bilden einen Kreis um das Monument in der Mitte des Platzes.

Hunderte Menschen haben bereits Kerzen, Blumen oder Schreibstifte zu Ehren der Getöteten niedergelegt. Nun blicken sie im Kreis stehend minutenlang darauf, stehen still im strömenden Regen. Bis plötzlich alle zu klatschen beginnen. Es ist klar, wem der Applaus gilt: Zwölf Menschen, die für ihr Recht auf Meinungsfreiheit starben.

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