Polizei und Eltern sind sich sicher: Bei der nahe Wien entdeckten jungen Frau handelt es sich um die vor acht Jahren entführte Natascha Kampusch! Die 18-Jährige wurde jahrelang von einem Mann gefangen gehalten. Die Frau habe an derselben Stelle eine Narbe wie das damals zehnjährige Mädchen. Der mutmassliche Entführer nahm sich das Leben.
Das Bundeskriminalamt erklärte, das Mädchen sei in den vergangenen Jahren in einem Verlies auf dem Grundstück des Entführers in Strasshof festgehalten worden. Offenbar erst im Frühjahr dieses Jahres habe sie die zum Verlies umgebaute Montagegrube unter einer Garage erstmals verlassen dürfen. Der Leiter der Ermittlungen, Nikolaus Koch, sagte, ein lockerer Umgang des Entführers mit dem Opfer dürfte die Flucht ermöglicht haben. «Er war nicht mehr so vorsichtig wie am Anfang», sagte Koch. Er sei seit dem Frühjahr «offensiver und frecher geworden». «In einem Augenblick, der für sie günstig war, ist sie hinausgelaufen. Das Opfer sei in guter Verfassung und werde psychologisch betreut.
Die Jagd nach dem mutmasslichen Entführer endete laut der Nachrichtenagentur APA für den Täter tödlich. Er soll sich gegen 21 Uhr in Wien vor einen Zug geworfen haben. Eine DNA-Analyse soll die letzte Gewissheit bringen. Offenbar handelt es sich bei Nataschas Entführer um einen entfernten Bekannten der Familie.
Natascha Kampusch sei über den Selbstmord ihres Geiselnehmers informiert worden. «Er war jahrelang ihre einzige Bezugsperson», sagte er. Daher sei mit einer engen Bindung an den Entführer zu rechnen, das so genannte Stockholm-Syndrom. Die 18-Jährige habe ziemlich gefasst auf die Nachricht reagiert. «Sie hat offenbar irgendwie damit gerechnet», erklärte Zwettler. «Er hatte ihr gesagt: Lebend kriegen die mich nie.»
Polizeisprecher Adolf Brenner sagte, der Entführer habe sich in den ersten Jahren von dem Mädchen mit «Gebieter» ansprechen lassen. Von früheren Fluchtversuchen habe das Opfer nicht berichtet.
Natascha Kampusch verschwand am 2. März 1998 im Alter von zehn Jahren auf dem Schulweg in Wien, ohne eine Spur zu hinterlassen. Angehörige bestätigten laut Polizei nach mehreren Gegenüberstellungen die Identität der Vermissten. In dem Verlies wurde ausserdem ihr Reisepass gefunden. Den hatte sie bei sich, weil sie häufig mit ihrem Vater nach Ungarn reiste.
Noch nicht klar war laut Polizei, ob das Mädchen sexuell missbraucht wurde und ob der Entführer Komplizen gehabt hatte. Fest stehe jedoch, dass keine Beziehung zu der Familie des Opfers bestand.
Der mutmassliche Entführer wurde bereits kurz nach dem Verschwinden des Mädchens 1998 von der Polizei befragt, als die Polizei Besitzer von weissen Kastenwagen überprüfte. Eine Schulfreundin des Mädchens hatte ausgesagt, die Vermisste sei in einen solchen Wagen gezerrt worden. Eine Hausdurchsuchung bei dem Verdächtigen gab es damals jedoch nicht. Der Fall wurde zu einem der grössten Rätsel der jüngeren Kriminalgeschichte Österreichs.