Um den zähen Rentenstreit mit Massenprotesten hinter sich zu lassen, hatte er auf ein 100-Tage-Programm mit Verbesserungen in diversen Politikbereichen gesetzt. Wochenlang reisten Minister mit Ankündigungen durchs Land und zum Nationalfeiertag hatte Macron eine erste Bilanz angekündigt. Doch nach den durch einen Polizeischuss ausgelösten Vorstadtkrawallen steckt das Land in einer Krise.
Das traditionelle Feuerwerk am 14. Juli sagten einige Städte aus Sicherheitsgründen ab. Zehntausende von Polizisten sollen an dem Tag befürchtete neue Unruhen im Keim ersticken. Hubschrauber und gepanzerte Fahrzeuge werden mobilisiert. Die politische Debatte dreht sich währenddessen anders als von Macron geplant wenig um wegweisende Reformen für Frankreich, sondern um mehr Handhabe gegen Randalierer, um Fragen von Migration sowie zum Sinn von Milliardeninvestitionen in die Banlieues. Am 17. Juli befasst sich das Parlament mit einem Notstandsgesetz, das von Krawallen betroffenen Städten schnelle Wiederaufbau- und Renovierungsarbeiten ermöglichen soll.
Nach dem tödlichen Schuss eines Polizisten auf einen 17-Jährigen bei einer Verkehrskontrolle bei Paris vor gut zwei Wochen hatte es in Frankreich tagelang schwere Unruhen gegeben. Beamte wurden mit Feuerwerkskörpern angegriffen und öffentliche Gebäude wie Polizeiwachen und Schulen in Brand gesetzt. Tausende Autos brannten aus. Die Schäden werden auf mindestens 650 Millionen Euro beziffert. Die Unruhen flauten zwar ab. Die Sorge ist aber, dass sie nun zum Nationalfeiertag wieder aufflammen.
Doch geht Frankreich der Ursache des grössten Gewaltausbruchs in den Vorstädten seit 2005 auf den Grund? Wird darüber diskutiert, dass Beamte ihre Pistolen auf einen unbewaffneten Jugendlichen richteten? Priorität angesichts der Krawalle hatte zunächst das Wiederherstellen von Ruhe und Ordnung. Schnell sprachen Macron und die Regierung von einem Fehlverhalten des eingesetzten Beamten. Die Polizei als Ganzes nahmen sie in Schutz. Ebenso betonten sie, die allermeisten Bewohner der Vorstädte hätten mit den Unruhen nichts zu tun und seien davon selbst Leidtragende. Von der Verantwortung der Eltern der randalierenden Jugendlichen war die Rede und von der Rolle sozialer Netzwerke, über die die Unruhen teils angefacht wurden.
Unterdessen prangerte der UN-Ausschuss für die Beseitigung der Rassendiskriminierung (CERD) übermässige Gewalt durch die Polizei und diskriminierende Kontrollen nach rassistischen Gesichtspunkten in Frankreich an. «Jeglicher Vorwurf des Rassismus oder der systemischen Diskriminierung durch die Ordnungskräfte in Frankreich ist unbegründet», konterte darauf das Aussenministerium. Die Unruhen, die im Ausland auch «French Riots» genannt werden, seien kein typisch französisches Problem, sagte ein Regierungssprecher. Auf Forderungen nach einer Polizeireform, wie sie vom linken politischen Flügel und auch einer Gewerkschaft kamen, ging die Regierung bisher nicht ein.
Macron hatte nach dem Durchdrücken der Rentenreform eigentlich aus dem Beliebtheitstief herauskommen und seit April neuen politischen Schwung gewinnen wollen. Ohne absolute Mehrheit im Parlament gestaltet sich das Regieren für sein Lager seit einem Jahr schwierig. Sein Plan war, mit Massnahmen in wichtigen Politikfeldern - Gesundheit, Bildung oder Migration - wieder die Agenda zu bestimmen. Auch von einer Regierungsumbildung war die Rede. Doch dann wurde Macron zum Getriebenen. Den Staatsbesuch in Deutschland musste er absagen und statt schöner Bilder vor der Kulisse von Schloss Bellevue gingen die der brennenden französischen Vorstädte um die Welt.
Die tiefen Risse in der französischen Gesellschaft traten während der Unruhen erneut zu Tage. Die seit Jahrzehnten bekannten Probleme der in den Vorstädten isolierten Bewohner, häufig Migranten und deren Nachfahren, die sich nach einer jüngsten Studie weiter diskriminiert fühlen, müssten endlich angegangen werden, riefen die einen. Randalierern mit einer weiteren Nationalität müsse der französische Pass abgenommen werden, forderten andere. Verzweifelt rauften sich währenddessen Bürgermeister, Anwohner und Geschäftsleute angesichts der Zerstörungen die Haare.
Dabei ist den Franzosen der soziale und nationale Zusammenhalt weiter sehr wichtig, wie eine am Dienstag vorgelegte Ipsos-Umfrage ergab. Als wichtig nennen die Befragten dort die Werte der Republik, Freiheit, Gleichheit und Solidarität und auch Toleranz und Demokratie. Oft geteilte Hoffnungen sind das Ende von Kriegen und das Ende von Armut und sozialen Ungleichheiten - zumindest die letzten beiden Punkte haben einen direkten Bezug zur Lage im Land.
(SDA)