Ein Nachfolge-Rennen geht in die Entscheidung. Beim Online-CDU-Parteitag dreht sich ab heute alles um die Frage: Wer tritt in die grossen Fussstapfen von Kanzlerin Angela Merkel (66)? Im Dreikampf um den CDU-Vorsitz hat ein alter Bekannter die Nase vorn: Friedrich Merz (65). Der ewige Zweite will es noch mal wissen und kandidiert erneut um den Vorsitz – und damit auch um eine mögliche Kanzlerschaftskandidatur bei der Bundestagswahl im kommenden September.
Der wirtschaftsliberale Anwalt und Millionär Friedrich Merz will Annegret Kramp-Karrenbauer (58) nachfolgen, der er im Dezember 2018 unterlag. Diesmal stehen seine Chancen besser. In Umfragen liegt Merz vor seinen Mitbewerbern Armin Laschet (59) und Norbert Röttgen (55).
Gesundheitsminister Jens Spahn (40) tritt nach seiner Niederlage 2018 nicht wieder an, unterstützt aber Armin Laschet. Dieser ist Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, war Merkels Favorit auf die Kanzlerkandidatur – doch dann kam Corona. Seither hat Laschet an Boden verloren. Der profilierte Aussenpolitiker Norbert Röttgen wurde erst rund um die US-Wahl richtig sichtbar und gilt im Herzen als Grüner.
Frauen kämpfen online gegen Merz
Gefährlich wird Merz auf den letzten Meter ausgerechnet eine Entscheidung, die fast 24 Jahre zurückliegt. Unter dem Hashtag «FrauengegenMerz» gibts online Gegenwind für den Favoriten auf die AKK- und Merkel-Nachfolge. Der Grund: 1997 stimmte er im Bundestag gegen die Strafbarkeit von Vergewaltigung in der Ehe – als einer von nur 138 Abgeordneten. 470 Abgeordnete stimmten damals für die Gesetzesänderung, 35 enthielten sich.
Die Entscheidung von damals wird nun wieder bemüht, um zu zeigen: Merz ist ein Frauenfeind und kein Kandidat, der in MeToo-Zeiten zukunftsfähig ist. Anfang der Woche war der Hashtag «FrauengegenMerz» in Deutschland im Trend, mittlerweile sind Hashtags wie «MerzVerhindern» und «MenschengegenMerz» populärer. Der starke Onlinegegenwind zeigt, wie umstritten Merz als Kandidat ist.
Die Onlineaktivisten dürften grösstenteils nicht aus der üblichen CDU-Wählerschaft stammen. Doch die Altlast drückt auf Merz' Image.
Problem-Aussage gegen Schwule
Aktuellere Äusserungen und Positionen machen es nicht besser. Im Gegensatz zu seinem parteiinternen Gegner Norbert Röttgen etwa hadert Friedrich Merz mit der Frauenquote.
Im vergangenen September fiel Merz zudem mit homophoben Aussagen auf. Auf die Frage nach einem möglichen schwulen Bundeskanzler liess Merz in einem Polittalk verlauten, die Frage der sexuellen Orientierung ginge die Öffentlichkeit nichts an, «solange sich das im Rahmen der Gesetze bewegt und solange es nicht Kinder betrifft». Über die Verbindung von Homosexualität und Pädophilie empörte sich nicht nur die LGBTQ-Community, sondern auch Gesundheitsminister Jens Spahn – bekanntermassen schwul und ein CDU-Hoffnungsträger fürs Kanzleramt.
Auch CDU-Frauen gegen Merz
Vor allem mit den Frauen hat Friedrich Merz allerdings eine mächtige Lobby gegen sich. Vergangene Woche sprach sich auch ein Zusammenschluss der CDU-Frauen offiziell gegen den Kandidaten aus. «Wir brauchen jetzt einen starken Zusammenhalt, damit die CDU weiter die führende Partei in der Mitte der Gesellschaft bleibt», sagte die Vorsitzende der Frauen-Union, Annette Widmann-Mauz (54), dem «Spiegel». «Deshalb hat die Frauen-Union der CDU eine klare Präferenz für Armin Laschet und Norbert Röttgen für den Parteivorsitz.»
Das Statement könnte viel Gewicht haben. Unter den 1001 Delegierten, die auf dem Onlineparteitag am Samstag den neuen Parteichef wählen, sind etwa 300 Frauen.
Merz arbeitete an seinem Image
Der CDU-Parteitag hätte ursprünglich bereits im vergangenen Mai stattfinden sollen, wurde aber wegen der Corona-Krise verschoben. Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer, die erst im Dezember 2018 zur CDU-Vorsitzenden gewählt wurde, trat bereits im Februar nach dem Wahl-Knall in Thüringen zurück und führte die Partei seither nur noch kommissarisch.
Friedrich Merz, der 2002 von Angela Merkel (65) aus dem Amt als Fraktionschef von CDU/CSU gedrängt wurde, hat seit seiner Niederlage gegen AKK an seinem Image gearbeitet. Konstruktiv brachte er sich bei den Christdemokraten ein, seit Juni 2019 ist er Vizepräsident des Wirtschaftsrats der CDU, einem parteinahen Verband.
Vor der Corona-Krise hielt er besonders in Ostdeutschland zahlreiche Reden, schärfte sein wertkonservatives Profil. Niemandem der drei männlichen Bewerber auf den CDU-Vorsitz wird mehr wirtschaftliche Kompetenz zugetraut. Im April 2020 schied er nach fünf Jahren aus dem Verwaltungsrat von Stadler Rail aus.