Lobbyismus im EU-Parlament
«Säcke voller Banknoten»

Wurde die Vize-Präsidentin des EU-Parlaments von Katar bezahlt? Auch ein Top-Gewerkschafter und ein NGO-Boss sind in Haft.
Publiziert: 11.12.2022 um 08:53 Uhr
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Aktualisiert: 11.12.2022 um 13:38 Uhr
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Eva Kaili, Vize-Präsidentin des EU-Parlaments, ist die Prominenteste unter den Verhafteten.
Foto: IMAGO/ZUMA Wire
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Tobias MartiRedaktor SonntagsBlick

Ein Korruptionsskandal erschüttert Brüssel – die Rede ist von Zahlungen und Geschenken Katars an Parlamentarier der Europäischen Union, von Beeinflussung politischer und wirtschaftlicher Entscheidungen. Offenbar ging es dem Golfstaat darum, sein Image vor der Fussball-WM aufzupolieren.

16 Durchsuchungen gab es am Freitag, fünf Personen wurden festgenommen, darunter auch Eva Kaili, Vizepräsidentin des Parlaments. 600'000 Euro Bargeld wurden beschlagnahmt. Die italienische Tageszeitung «La Repubblica» schreibt von «Säcken voller Banknoten», die im Haus der Griechin gefunden worden seien.

Was auch erklären würde, weshalb Kaili trotz parlamentarischer Immunität hinter Gittern ist. Laut Geschäftsordnung des EU-Parlaments wird die Immunität bei Delikten «in flagranti» hinfällig.

Kaili gehört der Panhellenischen Sozialistischen Bewegung (Pasok) an. Aus der Partei wurde sie unverzüglich ausgeschlossen. Auch ihr Lebenspartner und EU-Parlamentsmitarbeiter Francesco Giorgi sitzt im Gefängnis. Heute Sonntag wird klar, ob die beiden und weitere Verdächtige dort bleiben.

Oberster Gewerkschafter verhaftet

Bei den übrigen Festgenommenen handelt es sich um Luca Visentini, den höchsten Arbeitnehmervertreter der Welt. Er ist Generalsekretär des Internationalen Gewerkschaftsbundes mit mehr als 200 Millionen Mitgliedern.

Bis vor einem Monat war Visentini auch Generalsekretär des Europäischen Gewerkschaftsbundes – und hierzulande kein Unbekannter. Wiederholt wurde er zitiert, weil er den Lohnschutz in der Schweiz lobte. Hintergrund ist der Streit um das Rahmenabkommen mit der EU. Für 1.-Mai-Reden wurde er auch schon via Livestream in Zürich zugeschaltet.

Ebenfalls in Untersuchungshaft sitzt der frühere Europaabgeordnete Pier Antonio Panzeri. Der italienische Sozialdemokrat ist Chef der Nichtregierungsorganisation Fight Impunity, die gegen Menschenrechtsverletzungen kämpft.

Ausgerechnet Gewerkschafter und NGO-Funktionäre hätten also Katars verheerendes Image korrigieren sollen. Jenes Landes, das die Rechte für Wanderarbeiter mit Füssen trat: «Wenn sich die Vorwürfe erhärten, wenn tatsächlich versucht wurde, das EU-Parlament zu kaufen, wäre das der grösste Skandal, den dieses Parlament je gesehen hat», sagt Daniel Freund zu SonntagsBlick. Der deutsche Grünenpolitiker ist Vorsitzender der Arbeitsgruppe Antikorruption des EU-Parlaments.

Lobeshymnen auf Katar

Deren letzte Sitzung, bei der es um eine Resolution zu Katar ginge, erscheine nun in einem ganz neuen Licht. «Normalerweise sind die Sozialdemokraten auf unserer Seite, aber da gab es diese merkwürdige Rede von Frau Kaili», erläutert Freund.

Eva Kaili hatte vor wenigen Tagen im Parlament die Fortschritte des Golfstaates in der Gesetzgebung verteidigt, von gestärkten Arbeitnehmerrechten und erhöhten Mindestlöhnen gesprochen. Die WM sei ein Beweis dafür, wie Sportdiplomatie die «historische Transformation eines Landes erreichen kann».

Kaili flog unmittelbar vor dem Anstoss zur Fussball-Weltmeisterschaft nach Doha und traf dort den Emir des Wüstenstaats. Danach beklagte sie, dass alle, die mit den Katarern sprächen, sofort unter Korruptionsverdacht gestellt würden. In ihrem Fall scheint es nun mehr als lediglich ein Verdacht zu sein.

Am Montag steht im EU-Parlament eine Abstimmung über Visaerleichterungen für Katarer auf der Agenda.«Darüber kann man jetzt unmöglich abstimmen», meint Freund. Stattdessen fordern die Grünen sowie Rechts- und Linksausssen eine Sonderdebatte über den Skandal.

Der Einfluss von Nicht-EU-Regierungen auf Brüssel ist kein neues Problem. «Die Drittstaaten gehören ins Lobbyregister, die Treffen müssen transparent gemacht werden», verlangt Freund. Geschenke und Luxusreisen an Parlamentarier seien erlaubt, solange die Empfänger die Zuwendungen offenlegen. Freund: «Ich spreche von Essen in Michelin-Sterne-Restaurants, First-Class-Flügen, Fünfsternehotels.» Dafür, dass Unternehmen wie Apple oder Volkswagen im EU-Parlament vorstellig werden, gebe es strenge Regeln, aber: «Vertreter von Drittstaaten können mit einem Badge einfach reinlaufen. Weil es offiziell diplomatische Beziehungen sind und kein Lobbying», ärgert sich Freund.

Tomas Miglierina, Brüssel-Korrespondent von RSI, sagt zu SonntagsBlick: «Das alles ist sehr schlimm für das EU-Parlament, auch wenn nur wenige betroffen sind.» Die Abgeordneten hätten bereits mit dem Brexit, der Covid-Pandemie, dem Wiederaufbaufonds und dem Krieg in der Ukraine schwierige Zeiten und eine schlechte Presse. «Und jetzt dies! Das EU-Parlament hat ein ernsthaftes Reputationsproblem.»

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