Eine solche Einstufung hänge aber von den Beweisen ab, die das Gericht bei seinen Ermittlungen in Libyen finde, sagte ICC-Chefanklägerin Fatou Bensouda der Nachrichtenagentur AFP in einem Interview. Libyen werde im kommenden Jahr eine der «Prioritäten» ihres Gerichts sein, sagte Bensouda in Den Haag.
Die Ermittlungen seien zwar noch im Gange. Die Haager Ermittler hätten aber schon «viele Informationen» zu möglichen Verbrechen gesammelt, fügte die Juristin aus Gambia hinzu. «Und leider sind es die Zivilisten, die Frauen und Kinder, die die Hauptlast dieser Verbrechen tragen.»
Von der nordafrikanischen Küste aus versuchen immer wieder Flüchtlinge über das Mittelmeer nach Europa zu gelangen. Oft werden sie von Schleppern in seeuntüchtige und völlig überladene Boote getrieben. Nach Angaben der UNO starben in diesem Jahr mehr als 4650 Menschen bei der gefährlichen Überfahrt. Im gesamten vergangenen Jahr gab es 3771 Tote.
Libyen ist schon seit Jahren eine Drehscheibe für Flüchtlinge und Menschenschmuggler. Das nordafrikanische Land war nach dem Sturz und dem Tod des langjährigen Machthabers Muammar al-Gaddafi im Zuge des NATO-Einsatzes im Jahr 2011 ins Chaos gestürzt. Seitdem beherrschen konkurrierende bewaffnete Milizen das ölreiche Land. Auch die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) nutzt die unübersichtliche Lage aus, um sich in Libyen auszubreiten.
Der ICC hat seine Ermittlungen in Libyen bisher auf Verbrechen der Gaddafi-Führung konzentriert. Unter anderem fordert Bensouda die Auslieferung von dessen Sohn Seif al-Islam nach Den Haag, wo er sich wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantworten soll.
Anfang November hatte Bensouda angekündigt, auch zu möglichen Verbrechen von IS-Kämpfern in Libyen zu ermitteln. Es wäre das erste Mal, dass das Gericht gegen IS-Mitglieder vorgeht.