Lebensgefährliche Flucht via Ärmelkanal
Aus diesen fünf Gründen wollen Migranten unbedingt nach Grossbritannien

Grossbritannien und Frankreich geben sich gegenseitig die Schuld am Tod der 27 Menschen im Ärmelkanal. Doch so einfach ist es nicht.
Publiziert: 29.11.2021 um 17:57 Uhr
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Sie haben es überstanden: Migrantinnen und Migranten vergangenen Mittwoch bei der Ankunft am Strand von Dungeness (Grossbritannien) – am selben Tag ertranken 27 Menschen.
Foto: DUKAS
Fabienne Kinzelmann

Sie kommen mehrheitlich aus dem Iran, Irak, Syrien und Afghanistan – und haben ein klares Ziel: Grossbritannien. Dafür nehmen immer mehr Migrantinnen und Migranten die gefährliche Flucht über den Ärmelkanal auf sich.

In kleinen Booten überqueren sie die Meerenge zwischen dem EU-Land Frankreich und Grossbritannien. Bereits seit 2018 steigen die Zahlen, nach einem coronabedingten Rückgang im vergangenen Jahr waren es 2021 bereits 26'000 – der höchste Stand seit zwei Jahrzehnten.

Die Überfahrt kann tödlich enden. Am vergangenen Mittwoch ertranken 27 Menschen im eisigen Wasser, darunter sieben Frauen und drei Kinder.

Wer ist schuld an den Toten?

Die Grenzkrise sorgt für dicke Luft zwischen Frankreich und Grossbritannien.

Bei einem Krisentreffen am Sonntag haben Frankreich, Belgien, die Niederlande und Deutschland zwar nun einen härteren Kampf gegen Schleuser vereinbart, doch eines der hauptbetroffenen Länder sass nicht mit am Tisch: Frankreich hatte Grossbritannien ausgeladen, nachdem Briten-Premier Boris Johnson (57) ein Abkommen mit Frankreich zur Rücknahme von Migranten gefordert hatte.

Die Regierung von Emmanuel Macron (43) wiederum wirft den Briten fehlende legale Einwanderungswege und einen Lock-Effekt durch hohe illegale Beschäftigungsquoten vor.

Doch das ist nur eine der möglichen Erklärungen, warum so viele Migrantinnen und Migranten die lebensgefährliche Überfahrt aus der EU nach Grossbritannien wagen. Bislang gibt es nur wenige aussagekräftige Studien.

Eine Kombination dieser fünf Gründe dürfte Grossbritannien so attraktiv machen:

1. Angehörige in Grossbritannien

Familienmitglieder und Freunde scheinen einer der wichtigsten Faktoren zu sein. In verschiedenen Umfragen und Studien haben Migrantinnen und Migranten angegeben, bereits Angehörige auf der britischen Insel zu haben.

2. Geringere Sprachbarriere

Die meisten Migrantinnen und Migranten können zumindest ein bisschen Englisch. Zudem gilt Englisch als einfacher als andere europäische Sprachen.

3. Bessere Asylchancen

Der Asylprozess in Grossbritannien gilt als weniger streng als etwa in Frankreich. Etwa zwei Drittel der Geflüchteten aus dem Iran – der grössten Gruppe der Ärmelkanal-Überquerer – erhalten in Grossbritannien Asyl, in Frankreich nur etwa ein Drittel.

4. Toleranz und Demokratie

Grossbritannien gilt als sicher und hat international ein gutes Image, weil sich das Land lautstark für Menschenrechte einsetzt. Mit Asien, woher ebenfalls ein kleiner Teil der Migrantinnen und Migranten stammt, verbindet das Land ausserdem eine Kolonialgeschichte, wodurch manchen der Geflüchteten vermutlich Kultur und Gesellschaft näher scheinen.

5. Viel Schwarzarbeit

Grossbritannien hat eine florierende Schattenwirtschaft. Etwa 10,2 Prozent des Bruttoinlandprodukts könnte der Umfang der Schwarzarbeit in diesem Jahr betragen, prognostiziert eine IAW-Studie – fast doppelt so viel wie in der Schweiz. Zudem ist niemand in Grossbritannien verpflichtet, einen Ausweis mitzuführen, es gibt keine Stichprobenkontrollen, und auch ohne Aufenthaltstitel darf man ein britisches Bankkonto besitzen.

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