Eine Woche nach der Bundestagswahl schalten sich SPD und Union voll ins Ringen um eine künftige Bundesregierung ein. Die Sondierer der Sozialdemokraten wollen an diesem Sonntag jeweils etwa zwei Stunden lang getrennt mit FDP und Grünen über eine von Kanzlerkandidat Olaf Scholz (63) angestrebte Ampel-Koalition beraten.
Am Abend wollen dann Vertreter von CDU und CSU erstmals mit der FDP Chancen für ein Jamaika-Bündnis zusammen mit den Grünen ausloten. Zuvor hatte es bereits Treffen von Grünen und FDP gegeben. Für Dienstagvormittag ist zudem ein Gespräch von CDU/CSU und Grünen geplant. Sowohl die SPD, die bei der Bundestagswahl stärkste Kraft geworden war, als auch die Union wären für eine Regierungsbildung auf die Unterstützung sowohl der Grünen als auch der FDP angewiesen.
Die SPD war bei der Bundestagswahl am vergangenen Sonntag mit 25,7 Prozent stärkste Kraft geworden. Die Union stürzte auf den Tiefpunkt von 24,1 Prozent. Die Grünen kamen als Nummer drei auf 14,8 Prozent. Dahinter lag die FDP mit 11,5 Prozent.
Ampel-Koalition oder Jamaika-Bündnis?
Grüne und FDP als umworbene Partner waren zuletzt bereits zwei Mal zu vertraulichen Runden zusammengekommen, am Freitag hatten sie nach einem Treffen Einigkeit demonstriert. Die Grünen zeigten sich am Samstag auf einem Parteitag in Berlin zuversichtlich, einer künftigen Koalition anzugehören. Die von der SPD angestrebte Ampel-Koalition wird Umfragen zufolge von der Mehrheit der Bevölkerung positiv gesehen.
Die FDP wiederum hatte ein Jamaika-Bündnis bevorzugt. CDU-Chef Laschet hatte deutlich gemacht, dass er trotz des Wahldebakels eine solche Koalition bilden will. Deshalb hatte er sich am Samstag in Berlin mit Mitgliedern des CDU-Sondierungsteams getroffen, um die Gespräche mit der FDP am Sonntag und den Grünen am Dienstag vorzubereiten. CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak sagte der «Bild am Sonntag»: «Wir gehen mit grossem Verantwortungsbewusstsein in die Gespräche mit FDP und Grünen.»
FDP-Generalsekretär Volker Wissing betonte in den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Sonntag), die FDP gehe offen in die Gespräche mit Union und SPD. «Wir haben eigene Grundwerte und ein eigenständiges Programm, das wir umsetzen wollen. Dazu brauchen wir Verbündete.» Zugleich forderte er die Union auf, zu klären, ob in ihr alle am selben Strang ziehen. Die «Rheinische Post» hatte berichtet, es herrsche in der CSU grosses Kopfschütteln über schwierige Absprachen mit der CDU. Auch FDP-Chef Lindner wandte sich an die Union. Der «Bild am Sonntag» sagte er, CDU und CSU müssten klären, ob sie wirklich eine Regierung führen wollten.
Druck auf Laschet steigt
In der CDU wird nach dem Wahldebakel immer offener über eine inhaltliche und personelle Neuaufstellung diskutiert, der Druck auf Parteichef Laschet steigt. «Dafür muss es einen Bundesparteitag geben, spätestens im Januar», sagte Parteivize Jens Spahn (41) der «Welt am Sonntag». «Dass im Wahlkampf Fehler passiert sind und unser Spitzenkandidat nicht richtig gezogen hat, kann niemand leugnen.» Mehrere CDU-Politiker forderten ein Mitgliedervotum über eine personelle Neuaufstellung, wenn die Jamaika-Sondierungen scheitern sollten.
Der frühere SPD-Vorsitzende Martin Schulz (65) sagte «Bild am Sonntag» auf die Frage nach Gründen für das Weitermachen Laschets: «Laschet klammert sich an die Jamaika-Perspektive, weil er glaubt, das sei seine Lebensversicherung.» Das führe zu einer Hängepartie in der Union. «Wenn es die theoretische Möglichkeit von Jamaika nicht gäbe, wäre Laschet schon von den eigenen Leuten zum Rücktritt gezwungen worden. Noch kommt keiner von seinen Feinden so richtig aus der Deckung, weil keiner der böse Bube sein will.» (SDA)