Brexit-Boris (55) neuster Gegner ist in Laune. Es ist Anfang Juni und der britische Premierminister muss sich im Unterhaus unangenehmen Fragen stellen. Im «Telegraph» habe er gelesen, Johnson wolle nun die «direkte Kontrolle» über die Regierungsmassnahmen gegen das Coronavirus übernehmen, sagt der Abgeordnete. Und fragt angriffslustig: «Wer war denn bisher verantwortlich?»
Der Mann, der Boris Johnson so treffsicher vorführt, ist Labour-Chef Keir Starmer (57). Im April hat der Jurist den Altlinken Jeremy Corbyn (71) an der Parteispitze abgelöst. Seither nutzt der Brexit-Gegner jede Chance, der Regierung als Oppositionsführer kräftig einzuheizen.
Sogar bei den Konservativen erarbeitet sich Starmer Respekt
Selbst der konservative «Spectator» schrieb anerkennend, Starmer habe bislang kaum etwas falsch gemacht und den Balanceakt geschafft, «in diesem einmaligen Moment der nationalen Krise als Unterstützer der Regierung von Boris Johnson aufzutreten und gleichzeitig die Freiheit zu behalten, ihre vielen Fehler aufzudecken und zu kritisieren».
Der Premierminister habe doch versprochen, dass das Land zum 1. Juni weltweit führend in Sachen «test, track und trace» sein würde, sagt Starmer etwa bei der Befragung am 3. Juni. «Aber das sind wir nicht!»
Oder er erinnert an die noch immer hohe Anzahl an Corona-Fällen im Vereinigten Königreich: «Wir haben weltweit mit die höchsten Infektionsraten.» Letzte Woche habe der Premierminister noch gesagt, er sei stolz auf die Arbeit der Regierung. «Aber auf diese Zahlen kann man nicht stolz sein.»
Johnson solle Verantwortung übernehmen, fordert Starmer
Normalerweise sind die hitzigen Sitzungen im Unterhaus ein Heimspiel für Brexit-Boris. Doch die Abgeordneten tagen noch immer grösstenteils per Videokonferenz. Johnson, der auch Wochen nach seiner Covid-19-Erkrankung noch immer nicht ganz in Form scheint, fehlt das Klatschen, das Grölen seiner Parteifreunde.
Umgekehrt nützt die ruhigere Atmosphäre dem Neu-Oppositionsführer Starmer, der Johnson genüsslich in die Mangel nimmt. Starmers Fazit: «Es wird Zeit, dass der Premierminister Verantwortung für seine Fehler übernimmt!»
Umfragen sehen Starmer und Johnson gleichauf
Dass Starmer selbst gern Verantwortung in der Downing Street 10 übernehmen würde – daran lassen seine Auftritte keinen Zweifel. Und auch die Briten wären ihm laut den neusten Umfragen von «YouGov» als Regierungschef nicht abgeneigt. Im April bewertete die Bevölkerung Starmer nur zu 22 Prozent als «am besten geeignet» als Premierminister; Johnson lag damals bei 46 Prozent. Mittlerweile liegen die beiden politischen Kontrahenten mit je 33 Prozent gleichauf.
Die Umfragewerte stärken Starmer als möglicher Johnson-Herausforderer den Rücken. Erfahrung darin, ein Regierungsmitglied zu Fall zu bringen, hat er jedenfalls bereits. Als Chef der britischen Staatsanwaltschaft betrieb er vor acht Jahren eine Strafverfolgung gegen den damaligen Minister für Energie und Klimawandel, die schliesslich zu dessen Rücktritt führte.