Wenige Stunden vor einem geplanten Treffen sagte der britische Premierminister Rishi Sunak seinem griechischen Kollegen Kyriakos Mitsotakis überraschend ab – obwohl sein konservativer Parteifreund schon in London war.
Ein ersatzweise angebotenes Treffen mit Sunaks Vize Oliver Dowden verweigerte wiederum Mitsotakis – und zeigte sich erzürnt. Die Rede ist von einem diplomatischen Eklat zwischen Nato-Partnern.
Im Zentrum des Streits stehen Friesteile des Parthenon-Tempels auf der Athener Akropolis. Als «Elgin Marbles» kennen die Menschen in Grossbritannien den Kunstschatz, der im Londoner British Museum ausgestellt ist.
Der Name erklärt den Konflikt: Es war der britische Diplomat Lord Elgin, der Anfang des 19. Jahrhunderts die am besten erhaltenen Marmorplatten und -skulpturen des Parthenon-Frieses an der Akropolis abbauen und nach England bringen liess. Dort verkaufte er sie 1816 an das British Museum. Aus griechischer Sicht aber hat Elgin die Friesteile gestohlen, wie auch Mitsotakis jüngst betonte.
Der britische Premier ist gegen die Rückgabe
Entsprechend gross war nun die Empörung in Griechenland. In Sunak sei wohl der Elgin erwacht, titelte die Zeitung «Apogevmatini» am Dienstag. Der Fall sei ein Thema, das über Parteikontroversen hinausgehe und die Geschichte eines ganzen Volkes betreffe, sagte der Chef der grössten Oppositionspartei, der linken Syriza, Stefanos Kasselakis. «Und es ist eine moralische Frage, die den schamlosen Diebstahl von Kulturgütern aus ihrem natürlichen Umfeld betrifft.» Der Parthenon-Tempel (Jungfrauengemach) auf der Akropolis in Athen ist eines der berühmtesten noch existierenden Baudenkmäler des antiken Griechenlands.
Aufgebaut hatte sich der Disput seit dem Wochenende, als Mitsotakis mit einem Vergleich für Aufsehen sorgte. Den Kunstschatz zu teilen, sei, als würde man die «Mona Lisa», das weltberühmte Gemälde von Leonardo da Vinci, in Hälften schneiden und diese im Pariser Louvre und dem British Museum ausstellen, sagte der Regierungschef am Sonntag der BBC. Zugleich betonte er, es gehe Athen um eine Partnerschaft mit dem Londoner Museum. Dessen Aufsichtsratschef George Osborne hatte zuletzt offen über eine Leihe nach Griechenland gesprochen – wohlgemerkt unter der Bedingung, dass die «Elgin Marbles» anschliessend nach London zurückkehren.
Selbst eine Leihe kommt für Sunak aber nicht in Frage, wie sein Sprecher klarstellte. Grossbritannien habe sich seit Generationen um die Skulpturen gekümmert und wolle dies weiterhin tun. Vielmehr unterstütze der Premier ein Gesetz, das die Entfernung nationaler Kulturschätze aus dem British Museum verbietet. Doch der Wind dreht sich. Am Dienstag forderte sogar die konservative Zeitung «Times», die bisher die Regierungsposition unterstützt hatte, die Rückgabe: «Die Skulpturen gehören nach Athen», hiess es im Leitartikel. Sie seien fundamental für die kulturelle Identität Griechenlands.
Stecken sinkende Umfragewerte der Konservativen hinter der Entscheidung?
Dass der Streit um die knapp 2500 Jahre alten Marmorplatten und Statuen nun eskaliert, liegt nach Einschätzung von Kommentatoren auch am beginnenden britischen Wahlkampf. Spätestens im Januar 2025 wird ein neues Parlament gewählt. Sunaks Konservative liegen in Umfragen weit hinter der Oppositionspartei Labour zurück. Sunaks Absage an Mitsotakis wurde just dann bekannt, als sich der griechische Ministerpräsident mit Labour-Chef Keir Starmer traf – der sich wiederum offen für eine Leihe zeigte, wie sie Griechenland jüngst mit Italien in einem ähnlichen Fall vereinbart hatte. Sunak versuche, mit Hinweis auf nationales Interesse billig zu punkten, hiess es.
Erst kürzlich hatte die britische Regierung, die einen scharfen Anti-Migrationskurs verfolgt, den griechischen Ansatz in Flüchtlingsfragen gelobt. Nun kritisierte Labour, Sunaks Rückzieher verhindere wichtige Gespräche mit dem Verbündeten und zeige, dass er nicht in der Lage sei, die notwendige Führung zu übernehmen.
Dass London bei den Parthenon-Friesteilen so deutlich «Stopp» ruft, könnte nach Ansicht von Kunstkennern aber auch damit zu tun haben, dass die «Elgin Marbles» nicht die einzigen Teile umstrittener Herkunft im British Museum sind. So verweigert die renommierte Institution im Gegensatz zu anderen Museen in London oder auch in Deutschland die Rückgabe sogenannter Benin-Bronzen an Nigeria.
Und dann ist da noch der Koh-i-Noor. Der weltberühmte hochkarätige Diamant ist Teil der Krönungskrone von «Queen Mum», der Mutter von Queen Elizabeth II. – und stammt aus der ehemaligen britischen Kolonie Indien. Nach dem Tod der Queen im vergangenen Herbst verlangten viele Inder die Rückgabe. Auch um neue Debatten zu vermeiden, kam der Koh-i-Noor bei der Krönung von Elizabeths Sohn König Charles III. nicht zum Einsatz. (SDA)