Sabotage an kritischer Infrastruktur. Dieser Begriff ist seit mehreren Wochen in aller Munde. Zuletzt in Zusammenhang mit dem unterbrochenen Bahnverkehr in Norddeutschland – am Wochenende wurde der gesamte Zugverkehr in Niedersachsen, Bremen, Hamburg und Schleswig-Holstein eingestellt. Die Deutsche Bahn verwies auf einen Ausfall des digitalen Zugfunksystems. «Aufgrund von Sabotage an Kabeln, die für den Zugverkehr unverzichtbar sind, musste die Bahn den Zugverkehr im Norden heute Vormittag für knapp drei Stunden einstellen», sagte eine Sprecherin der Deutschen Presse-Agentur. Die zuständigen Sicherheitsbehörden hätten die Ermittlungen aufgenommen.
Schon vorgängig berichteten verschiedene Medien über Hinweise auf Fremdeinwirkung. So schrieb die «Bild», dass Funksystem-Kabelverbindungen entweder gestohlen oder absichtlich zerstört worden seien, und wie es aus Bahnkreisen heisse, seien dafür «bestimmte Kenntnisse» nötig. Es handle sich darüber hinaus nicht um einen Lausbubenstreich. Wie der «Spiegel» vermeldete, handle es sich um eine «zentrale Schnittstelle zwischen Fahrzeugen und Infrastruktur». Über das zwischenzeitlich ausgefallene System laufe der Sprechfunk zwischen Zügen und Leitstellen sowie die digitale Übermittlung von Fahrplandaten.
Noch mehr Sabotage
Von Sabotage ist auch die Rede in Zusammenhang mit den Explosionen an den Gaspipelines Nordstream 1 und 2, die zwischen Russland und Norddeutschland verlaufen. Schweden, Dänemark und Deutschland ermitteln gemeinsam. Und die schwedische Staatsanwaltschaft sieht nach ersten Untersuchungen einen entsprechenden Verdacht als erhärtet, wie die ARD berichtet. Seismologische Institute in Skandinavien massen eine Stärke von 2,3 und 2,1, was «vermutlich einer Sprengladung von mehreren Hundert Kilogramm» entspreche, so die Organisationen. Es handle sich um «sehr ernste Vorfälle».
Das deutsche Bundeskriminalamt warnt
Das deutsche Bundeskriminalamt warnt denn auch «vor weiteren Sabotageakten» gegen noch bedeutendere Anlagen als die Ostsee-Pipelines. Denn zumindest die Explosionen der Gaspipelines haben gezeigt: Solche Leitungen liegen relativ ungeschützt auf dem Meeresboden, und sie können beschädigt werden, ohne dass gross Aufsehen erregt würde. Die Pipelines sind indes nicht die einzigen Leitungen auf dem Meeresgrund. Der Ozean beherbergt eine ganze Infrastruktur, darunter Strom- und gigantische Internetkabel. Fast die gesamte Kommunikation rund um den Globus verläuft über die Unterseekabel. Knapp 400 Stück mit einer Länge von rund 1,3 Millionen Kilometern liegen auf dem Meeresboden. Sie transportieren Daten, verbinden Kontinente, Firmen und Kunden, die online einkaufen.
Schon seit Jahren diskutieren Sicherheitsexpertinnen und -experten in Brüssel, in der EU und bei der Nato darüber, wie sicher die Unterwasserleitungen sind. Werden die Kabel beschädigt, ist auch die Kommunikation zwischen den USA und den Nato-Verbündeten beschädigt. Die Bestandsaufnahme fällt wenig überraschend kritisch aus. Ebenfalls seit Jahren weisen Geheimdienste und Militärs darauf hin, dass Russland und China die Unterwasserinfrastruktur der Nato-Länder gezielt ausspionieren. Bei der Nato heisst es, dass Moskaus Unterseestreitkräfte immer aktiver werden - hochmoderne U-Boote mit einer Tauchtiefe bis zu 6000 Metern könnten bis zu den Transatlantik-Kabeln auf dem Meeresgrund tauchen.
«Es geht um Vergeltung oder den eigenen Willen»
Mauro Gilli vom Zentrum für Sicherheitsstudien der ETH Zürich sagt auf Anfrage: «Internetkabel sind am wichtigsten für unsere Gesellschaft, denn unsere Ökonomie, unsere grundlegenden Services wie Spital, Transport und anderes hängen massiv von verlässlicher Kommunikation ab, ebenso unser Privatleben.» Gerade, weil die Kabel eine kritische Infrastruktur für unsere Gesellschaft darstellen würden, könne man eines nicht ausschliessen. «Dass einige Akteure, ob aus Gründen der Vergeltung oder um den eigenen Willen durchzusetzen, Schaden anrichten, wo es am meisten weh tut.» Allerdings, so Gilli: Westeuropa und die USA würden über vergleichsweise viele Unterseekabel verfügen. «Das sichert ihnen Redundanz und somit Resilienz.» Etwa im Hinblick auf Island sei dies indessen nicht der Fall, was sehr viel verletzlicher sei.
Und was ist mit der Schweiz? «Das ist sehr schwierig zu sagen», sagt Gilli. Seine Einschätzung sei, dass, um das Internet in Westeuropa und somit der Schweiz ausser Gefecht zu setzen, systematisch zahlreiche Unterwasserkabel durchtrennt werden müssten. «Das ist mit enormem Aufwand verbunden.» Aber auch wenn nur wenige Kabel «hier und dort» durchtrennt würden, wären die Effekte immer noch bedeutend. «Entweder würden einige Gebiete vom Internet abgeschnitten, oder manch eine Webseite wäre nicht erreichbar – es ist auch möglich, dass das Internet sehr langsam und somit nicht verfügbar ist», so Gilli.