Französischer Polizist bleibt nach Todesschuss in U-Haft
Nach dem tödlichen Schuss auf Nahel M. (†17) bei einer Verkehrskontrolle bei Paris bleibt der Polizist (38), gegen den wegen Totschlagverdachts ermittelt wird, in Untersuchungshaft. Ein Antrag auf Freilassung des Beamten sei am Donnerstag abgelehnt worden, teilte das zuständige Gericht in Versailles mit.
Unter Verweis auf interne Ermittlungsunterlagen, aus denen die Zeitungen «Le Parisien» und «Le Monde» zitierten, drohte der Kollege des späteren Schützen dem 17-Jährigen am Steuer bei der Kontrolle: «Du bekommst eine Kugel in den Kopf.» Der nun inhaftierte Beamte habe gerufen «Ausmachen, ausmachen» und auf die Windschutzscheibe geschlagen, um den Jugendlichen zum Ausschalten des Autos zu bringen.
Laut den Ermittlungsunterlagen sagte der Beamte bei einer Befragung, er habe geschossen, weil er befürchtet habe, dass sein Kollege von dem anfahrenden Auto mitgerissen werde. Der zweite Beamte habe aber ausgesagt, dass er nur einen Arm in das Fahrerfenster gehalten habe. Ebenfalls sagte der Schütze demnach, er habe auf die untere Körperhälfte des Jugendlichen gezielt. Weil er beim Anfahren des Wagens das Gleichgewicht verloren habe, habe der Schuss aber die Brust getroffen.
72 Festnahmen und 5900 ausgebrannte Autos
Bei erneuten Unruhen in Frankreich sind in der Nacht auf Dienstag 72 Menschen festgenommen worden. Es seien keine Polizisten verletzt worden, teilte das Innenministerium mit.
Zudem wurden inzwischen landesweit rund 5900 Autos in Brand gesetzt, wie der Sender BFMTV am Dienstag unter Verweis auf das Innenministerium berichtet. An 1100 Gebäuden kam es zu Bränden oder Sachbeschädigungen, und rund 270 Polizeiwachen wurden angegriffen.
Über 1 Milliarde Euro Schäden
Die Schäden durch die anhaltenden Unruhen in Frankreich schätzt die Arbeitgebervereinigung auf bereits über eine Milliarde Euro. «Es ist noch zu früh, um eine genaue Zahl zu nennen, aber wir liegen bei über einer Milliarde Euro, ohne die Schäden für den Tourismus zu berücksichtigen», sagte der Chef der französischen Arbeitgebervereinigung Medef, Geoffroy Roux de Bézieux, der Zeitung «Le Parisien» am Montagabend.
Über 200 Geschäfte seien vollständig geplündert, 300 Bankfilialen zerstört und 250 Tabakläden in Mitleidenschaft gezogen worden. Dabei seien die Randalierer mit absoluter Gewalt vorgegangen und hätten sogar die Registrierkassen gestohlen, ehe sie Feuer legten. «Die Videos der Unruhen, die in der ganzen Welt kursierten, beschädigen das Image Frankreichs», sagte der Arbeitgeber-Chef. «Es ist immer schwer zu sagen, ob die Auswirkungen dauerhaft sind, aber es wird sicherlich einen Rückgang der Buchungen in diesem Sommer geben, obwohl die Saison vielversprechend war.» Es seien bereits einige Aufenthalte storniert worden.
Unruhen in Frankreich scheinen abzuklingen
Zwar gab es auch diesmal wieder einige Krawalle, etwa in Lyon, wo die Polizei gegen eine rechtsextreme Gruppe Tränengas einsetzte. Gemessen an den heftigen Unruhen der vergangenen Tage mit Bildern Hunderter brennender Autos und Gebäude sowie teils mehr als 1000 Festnahmen während der Nachtstunden blieb es aber relativ ruhig.
Innenminister Gérald Darmanin (40) setzte in der dritten Nacht in Folge auf massive Polizeipräsenz. 45'000 Polizisten waren im ganzen Land im Einsatz, auch diesmal wieder mit gepanzerten Fahrzeugen. Übereinstimmenden Medienberichten zufolge gab Darmanin erneut die Anweisung, entschlossen vorzugehen und Krawallmacher so schnell wie möglich festzunehmen.
Macron will von Krawallen betroffene Bürgermeister empfangen
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron (45) will am Dienstag Medienberichten zufolge über 200 Bürgermeister empfangen, die von den Unruhen der vergangenen Tage besonders betroffen waren. Das berichteten der Fernsehsender BFMTV und die Zeitung «Le Parisien» am Sonntag nach der Lagebesprechung Macrons mit mehreren Ministern. Ausserdem möchte sich Macron demnach am Montag mit den Präsidenten von Senat und Nationalversammlung treffen.
Halbe Million Euro Spenden für Polizisten, der Nahel erschoss
Eine Spendenaktion für den Polizisten, der mutmasslich den 17-Jährigen Nahel M. im französischen Nanterre erschossen hat, hat wohl bis Sonntag bereits über 500'000 Euro gesammelt.
Ziel ist die Unterstützung der Familie des Polizisten, «der seine Arbeit getan hat und nun einen hohen Preis zahlt», wie es in der Kampagne heisst. Der Spendentopf wurde von Jean Messiha, einem Unterstützer des rechtsextremen Politikers Éric Zemmour, eingerichtet.
Nach Angaben der Zeitung «Le Figaro» scheint Messiha mit der Aktion in Konkurrenz zu einem Spendenaufruf für die Mutter des getöteten Jungen treten zu wollen. Demnach prahlte er damit, mehr Geld gesammelt zu haben.
Nahels Grosi fordert Krawall-Ende: «Zum Glück sind die Polizisten da»
Jetzt meldet sich Nahels Grossmutter zu Wort. Sie hält gar nichts von den Unruhen, die nach dem Tod ihres 17-jährigen Enkels immer grösser wurden, und ruft zur Ruhe auf. «Zum Glück sind die Polizisten da. Die Leute, die gerade etwas kaputt machen, denen sage ich: ‹Hört auf›. Sie haben Nahel als Vorwand genommen», sagte sie am Sonntag dem Fernsehsender BFMTV.
Sie sei zwar wütend auf den Beamten, der ihren Enkel erschossen habe, möchte aber nicht verallgemeinern. Er werde bestraft werden wie jeder andere auch. «Ich habe Vertrauen in die Justiz.» Die Menschen sollten ruhig bleiben und nicht alles kaputt machen.
Rechtsextreme greifen in Angers Demonstranten von Polizeigewalt an
In der französischen Stadt Angers hat am vergangenen Freitag eine Gruppe von rund 15 Rechtsextremen Teilnehmende einer Demonstration angegriffen, die anlässlich des Todes von Nahel M.* (†17) gegen Polizeigewalt protestierten.
Einige der Demonstranten waren nach einem Polizeieinsatz mit Tränengas in die Innenstadt geflüchtet, wo sich die Rechtsextremen mit Baseballstöcken in den Händen postiert hatten, um sie abzufangen.
In einer früheren Version dieses Berichts hiess es, dass sich einige Bewohner zu Bürgerwehren zusammengeschlossen hatten, um die Stadt vor Randalierern und Plünderern zu verteidigen. Dies erwies sich als falsch.
* Name bekannt
Einwohner in Metz bewaffnen sich mit Stöcken
In den sozialen Medien kursieren Videos von Einwohnen der französischen Stadt Metz, die sich Stöcke zugelegt haben, um «ihre Familie zu beschützen», schreibt der Twitter-Account «Fdesouche.com». Das Video wurde in der Nacht auf Sonntag aufgenommen.
Die Proteste nehmen kein Ende. Andere Videos zeigen Bewohner, die ihre brennenden Autos löschen.
Auch Feuerwerkskörper explodieren zwischen den Wohnblocks.
Demonstranten griffen Lokalpolitiker an
Bei den Krawallen in Frankreich ist das Wohnhaus eines Bürgermeisters in einem Pariser Vorort angegriffen worden, während dessen Familie zu Hause schlief. Randalierer hätten das Haus in der Nacht zu Sonntag mit einem Auto gerammt und Feuer gelegt, schrieb Vincent Jeanbrun, Bürgermeister von L'Haÿ-les-Roses, auf Twitter. Seine Frau und eines seiner Kinder seien verletzt worden. Nach Angaben des Fernsehsenders BFMTV leitete die Staatsanwaltschaft eine Untersuchung wegen versuchten Mordes ein.
Seine Frau und eines seiner beiden Kinder seien «verletzt worden», schrieb Jeanbrun. Er sei während des Vorfalls im Rathaus des Stadt gewesen, die südlich von Paris liegt.
Angesichts der gewaltsamen Ausschreitungen in Frankreich sollen im ganzen Land Busse und Strassenbahnen abends nicht mehr fahren. Innenminister Gérald Darmanin (40) habe die Präfekten in den Regionen angewiesen, ab 21 Uhr den Verkehr dieser Transportmittel einzustellen, teilte das Innenministerium am Freitag in Paris mit. Auch der Verkauf von Feuerwerkskörpern, von Benzinkanistern sowie entzündlichen und chemischen Produkten solle systematisch unterbunden werden.
In der Nacht zum Freitag hatten es die dritte Nacht in Folge in mehreren Städten Frankreichs gewaltsame Ausschreitungen gegeben. Dabei wurden Geschäfte geplündert, Gebäude verwüstet und Feuer gelegt. 875 Menschen wurden festgenommen.
Die Proteste entzündeten sich am Tod des 17-jährigen Nahel M.. Der Jugendliche war am Dienstag bei einer Verkehrskontrolle in der Pariser Vorstadt Nanterre von einem Polizisten erschossen worden. In einem Video war zu sehen, wie der Polizist mit seiner Waffe auf den Fahrer zielt und aus nächster Nähe schiesst, als das Auto plötzlich beschleunigt. (AFP)
*Name bekannt