BLICK: Herr Präsident, Sie haben einst als Flüchtling und als Student in der Schweiz gelebt. Wie ist es für Sie, hierher zurückzukehren?
Hashim Thaçi: Ich erinnere mich gerne und mit Nostalgie an meine Jahre in der Schweiz. Es waren die friedlichsten Jahre überhaupt. Die Schweiz gab mir Schutz, als ich wegen meines Widerstands gegen das Regime von Slobodan Milosevic meine Heimat verlassen musste. Mein Sohn wurde hier geboren. Auch er hat ein sehr positives Bild von der Schweiz.
Der Kosovo ist wieder international in den Schlagzeilen, weil Sie eine Armee aufbauen wollen. Warum tun Sie das?
Das ist die natürliche Entscheidung eines unabhängigen Landes. Der Kosovo ist dank der Nato eines der sichersten Länder in Europa. Wir wollen Mitglied der Nato werden, und das geht nur mit unserer Armee. Wir wollen unseren Beitrag für Frieden und Stabilität leisten. Die Kosovo Security Force ist eine multi-ethnische Streitkraft mit Nato-Standards. Eigentlich sind wir nicht zu früh, sondern zu spät dran damit.
Warum?
Es war immer klar, dass wir eine eigene Armee wollen. Zuerst aber mussten wir von allen politischen Entscheidungsträgern unterstützt werden.
Was bedeutet das für die Schweizer Kfor-Truppen in Ihrem Land?
Der Aufbau unserer Armee hat keinen Einfluss auf die Rolle der Kfor-Friedenstruppen im Kosovo. Schweizer Frauen und Männer leisten einen hervorragenden Job.
Serbien hat heftig reagiert. Gefährdet Ihr Armeeplan den Friedensprozess?
Die Reaktion von Serbien war politisch motiviert, überstürzt und ohne Argumente. Die Entscheidung, eine Armee aufzubauen, trifft der Kosovo und nicht Serbien. Nach allem, was vorgefallen ist, werden wir keine Ratschläge von einem starken Anti-Nato-Land wie Serbien berücksichtigen.
Vor einem Jahr sagten Sie im BLICK-Interview, die Beziehungen zwischen Kosovo und Serbien seien so gut wie noch nie. Sehen Sie das immer noch so?
Natürlich gibt es Schwierigkeiten zwischen den beiden Ländern, aber wir sind beide sehr stark darauf fokussiert, einen definitiven Frieden auszuhandeln. Der Prozess wird durch die EU angeführt, unterstützt durch die USA und, so scheint es, von Russland akzeptiert. Am Ende wird der Kosovo Uno-Mitglied und von allen Ländern vollständig anerkannt sein, auch von Serbien. Meine zwei Jahrzehnte lange Verhandlungserfahrung zeigt: Wenn die USA und die EU gemeinsam uns unterstützen, dann sollten wir mutig sein und den Prozess angehen, weil es eine Erfolgsgeschichte wird.
Was macht Sie so optimistisch?
Frieden ist eine Notwendigkeit. Wir arbeiten sehr hart in diese Richtung. Ich wünsche mir ein ausgeglichenes Abkommen für beide Seiten. Es gibt ja keine Alternative! Mein Optimismus beruht auf dem Wunsch der Menschen nach Frieden und Entwicklung.
Viele Menschen befürchten, dass die Alternative Krieg heisst.
Nein, es wird nie wieder Krieg geben zwischen Albanern und Serben – dank diesem Friedensabkommen. Wer es behindert, übernimmt die Verantwortung für weitere albanisch-serbische Tragödien und vielleicht sogar noch mehr.
Umstritten ist vor allem der Landtausch zwischen Kosovo und Serbien. Was werden Sie tun?
Friedensabkommen zielen auf Ausgleich der Interessen der beiden Seiten. Der Kosovo hat sich gut entwickelt, weil er immer wieder Kompromisse eingegangen ist. Ein Abkommen würde alle offenen Themen zwischen Serbien und dem Kosovo regeln: die Flüchtlinge, die wirtschaftliche Zusammenarbeit, die serbisch-orthodoxe Kirche im Kosovo und eben vor allem die Grenze zwischen den beiden Ländern.
Wann wird das Friedensabkommen stehen?
Der Weg zum Frieden wird auf alle Fälle viel kürzer sein als die Periode voller Konflikte, die wir hinter uns haben. 13’000 Kosovaren wurden durch den serbischen Staat ermordet, 20’000 Frauen vergewaltigt, mehr als eine Million Menschen mussten fliehen. Bedauerlicherweise wurde bis heute keiner dieser Vorfälle vor Gericht behandelt. Dennoch können wir nicht in der Vergangenheit leben, sondern müssen vorwärtsschauen. Wir brauchen Entscheidungen, die verhindern, dass sich die Geschichte wiederholt. Mit Frieden gewinnen alle, mit Krieg verlieren alle. Die Menschen wollen keinen Krieg mehr. Die Menschen wollen keinen Krieg mehr, sondern Frieden, Gerechtigkeit, Entwicklung und Wohlstand.
Menschen wollen nie Krieg, trotzdem zetteln Politiker immer wieder Kriege an.
Ja, in Serbien gibt es immer noch Leute, die von Krieg reden. Das ist gefährlich. Das macht ein Friedensabkommen noch wichtiger. Wenn wir jetzt scheitern, kann ich nicht ausschliessen, dass es künftig wieder einen Konflikt geben wird. Wir beobachten, dass auf beiden Seiten Nationalismus und Radikalisierung wachsen. Jetzt ist der beste Moment für Frieden.
Hashim Thaçi (50) ist seit 2016 Präsident der Republik Kosovo. Er wuchs als eines von acht Kindern in armen Verhältnissen auf. 1994 flüchtete er in die Schweiz und erhielt politisches Asyl. Er arbeitete als Rangierarbeiter und studierte osteuropäische Geschichte an der Universität Zürich. 1998 kehrte er in den Kosovo zurück und wurde Führer der Befreiungsarmee UCK. Thaçi war 2008 einer der Gründer eines unabhängigen Kosovos und der erste Premierminister. Er ist verheiratet und hat einen Sohn.
Hashim Thaçi (50) ist seit 2016 Präsident der Republik Kosovo. Er wuchs als eines von acht Kindern in armen Verhältnissen auf. 1994 flüchtete er in die Schweiz und erhielt politisches Asyl. Er arbeitete als Rangierarbeiter und studierte osteuropäische Geschichte an der Universität Zürich. 1998 kehrte er in den Kosovo zurück und wurde Führer der Befreiungsarmee UCK. Thaçi war 2008 einer der Gründer eines unabhängigen Kosovos und der erste Premierminister. Er ist verheiratet und hat einen Sohn.