Als «alte Freunde» bezeichneten sie sich immer wieder, witzelten und freuten sich auf das gemeinsame Abendessen. Bis Dendias zu einem Rundumschlag ausholte, der nicht nur seinen Kollegen Cavusoglu sondern auch die Öffentlichkeit fassungslos zurück liess.
Was normalerweise hinter verschlossenen Türen diskutiert wird - in diesem Fall der Konflikt um Erdgasvorkommen im Mittelmeer, gegenseitige Vorwürfe im Umgang mit Migranten, die Militarisierung griechischer Inseln, die Überflüge türkischer Kampfjets über bewohntem griechischen Gebiet und viele Streitpunkte mehr - breitete Dendias nahezu genüsslich und dabei stets freundlich vor laufenden Kameras aus. Zuvor, heisst es in griechischen Medien, habe er lange mit seinem Premier Kyriakos Mitsotakis telefoniert, was darauf schliessen lässt, dass seine Vorgehensweise von der griechischen Regierung abgesegnet war.
Für Griechenland ist es ein Wendepunkt im Umgang mit dem Nachbarland. War man zuvor - ganz im Sinne der EU - um Beschwichtigung bemüht, soll nun offenbar Tacheles geredet werden. Athen macht sich zunutze, dass die Türkei in wirtschaftlichen Schwierigkeiten steckt, sich wieder an die EU annähern will und vom neu gewählten US-Präsidenten Joe Biden bisher weitgehend ignoriert wird.
So wurde Dendias beispielsweise nicht müde zu betonen, dass es sich bei den strittigen Punkten keinesfalls um bilaterale Konflikte handele, sondern dass die türkische Haltung dem Regelwerk der EU entgegenstehe.
Das EU-Mitglied Griechenland habe stets die Beitrittsambitionen der Türkei unterstützt, versicherte Dendias. Dann müsse jedoch auch das EU-Regelwerk respektiert werden. «Und dazu gehört die Achtung der territorialen Integrität aller EU-Länder.»
Durch ihre Forschungen nach Erdgas in der Ägäis negiere die Türkei diese Regeln, in diesem Fall das internationale Seerecht. «Und nicht nur das: Die Türkei hat die Souveränitätsrechte Griechenlands mit 400 Überflügen über griechischen Boden verletzt», sagte Dendias und wandte sich an seinen Gastgeber: «Mevlüt, über griechischem Boden! Es gibt kein internationales Recht, das dies erlaubt!»
Die Aufregung über solche Aussagen war bei politischen Beobachtern in Athen nicht geringer als bei den türkischen Kollegen. «Ich bin fast 70 Jahre alt und habe so etwas noch nie erlebt», sagte etwa der griechische Politologe Panagiotis Ioakimidis. «Nur gut, dass die Journalisten anschliessend keine Fragen stellen durften, sonst wäre es womöglich noch weiter eskaliert», kommentierte der griechische Türkei-Experte Manolis Kostidis.
Nicht nur Dendias, auch Cavusoglu sorgte für Erstaunen. Zwar war der Aussenminister sichtlich irritiert und kritisierte die aggressive Haltung Dendias' - doch er liess ihn anschliessend auch antworten, anstatt die Pressekonferenz für beendet zu erklären, wie es als Gastgeber sein Recht gewesen wäre.
Er selbst habe das Gespräch in freundlicher Atmosphäre führen wollen, betonte Cavusoglu. «Werden wir das von nun an also auf bilateraler Ebene gemeinsam besprechen oder weiterhin so streiten? Ihr müsst euch entscheiden.» Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan sagte am Freitag, die Türkei und Griechenland sollten ihre Konflikte bilateral lösen: «Die Europäische Union oder andere sollen sich nicht zwischen uns stellen.»
Hüseyin Bagci, Politikwissenschaftler an der türkischen Universität Odtü, nannte den Vorfall eine «diplomatisches Beispiel ohnegleichen». Bei dem Schlagabtausch auf türkischem Boden» habe Ankara eine Lektion erteilt bekommen. «Dass die Griechen das auf türkischem Boden gewagt haben, ist einmalig.» Politisch werde der Streit jedoch keine Konsequenzen haben, glaubt Bagci.
Davon geht auch der Grossteil griechischer Analysten aus: Sie glauben, dass Cavusoglu trotz des Eklats der Einladung von Dendias zu einem Besuch in Athen nachkommen wird. Nur einige wenige fürchten eine weitere Zerrüttung der Beziehungen und neue Spannungen in der Ägäis.
Als Sicherheitsventil gelten die Sondierungsgespräche, die seit Januar unabhängig von offiziellen Besuchen auf diplomatischer Ebene zwischen beiden Ländern laufen. Sie sollen dazu dienen, eine nächste Eskalation bereits im Vorfeld zu verhindern. Positiv könnte sich jedoch trotz der diplomatischen Horror-Show von Nikos Dendias auch die gute Beziehung zwischen den beiden Ministern auswirken.
Denn an der beiderseits viel beschworenen Freundschaft scheint Dendias auch weiterhin gelegen. Im Anschluss an die Pressekonferenz sagte er an Cavusoglu gerichtet: «Ich hoffe, dass unsere Meinungsverschiedenheiten nicht dazu führen, dass Du mich vom Abendessen auslädst - ich habe jetzt nämlich wirklich Hunger.»
(SDA)