Nach den jüngsten Kämpfen um die Region Bergkarabach im Südkaukasus haben die aserbaidschanischen Sieger und die unterlegenen Armenier eine erste Verhandlungsrunde beendet. In der Stadt Yevlax seien unter anderem «Fragen der Wiedereingliederung der armenischen Bevölkerung Karabachs» besprochen worden, teilte die Präsidialverwaltung des autoritär geführten Aserbaidschans am Donnerstag mit. In Kürze solle es ein weiteres Treffen geben.
Unterdessen warf die Führung der international nicht anerkannten Region Bergkarabach (Arzach) Aserbaidschan vor, eine erst am Mittwochmittag in Kraft getretene Waffenruhe schon wieder gebrochen zu haben. Bei Bergkarabachs Hauptstadt Stepanakert seien Schüsse gefallen. Baku wies diese Vorwürfe als angeblich «völlig falsch» zurück.
Aserbaidschan hatte die zwar auf seinem Staatsgebiet gelegene, aber mehrheitlich von Armeniern bewohnte Region Bergkarabach seit Dienstagmorgen mit Raketen und Artillerie angegriffen, um sie zu erobern. Am Mittwoch gaben die militärisch unterlegenen Armenier auf. Viele von ihnen befürchten nun, aus ihrer Heimat vertrieben oder – wenn sie bleiben – zum Ziel aserbaidschanischer Gewalt zu werden. Durch die Kämpfe der vergangenen Tage wurden laut armenischen Medien mindestens 200 Menschen getötet und mehr als 400 verletzt.
Russland überwacht vereinbarte «Waffenruhe»
An den Verhandlungen zwischen Aserbaidschanern und Karabach-Armeniern nahmen auch russische Soldaten teil, die in der Region stationiert sind und eigentlich eine 2020 vereinbarte Waffenruhe überwachen sollten. Viele Armenier werfen ihrer traditionellen Schutzmacht Russland, die ihre Kräfte derzeit vor allem für ihren eigenen Angriffskrieg gegen die Ukraine braucht, vor, sie nun angesichts der jüngsten aserbaidschanischen Aggression im Stich gelassen zu haben.
Kremlsprecher Dmitri Peskow sprach am Donnerstag von «erheblichen Fortschritten» – auch mit Blick auf einen möglichen Friedensvertrag, der zwischen Armenien und Aserbaidschan geschlossen werden könnte. Noch sei aber nicht abzusehen, wann es so weit sein könnte. Zugleich seien derzeit noch keine Gespräche zu einer möglichen Auflösung der aserbaidschanischen Blockade der einzigen armenischen Zufahrtsstrasse nach Bergkarabach geplant.
Verhandlungen laufen
Diese Strasse, der Latschin-Korridor, wird bereits seit Monaten von Aserbaidschanern abgeriegelt, weshalb in Bergkarabach schon vor Beginn der jüngsten Angriffe eine humanitäre Katastrophe ausbrach. Bei den Verhandlungen in Yevlax sicherte die aserbaidschanische Seite jetzt eigenen Angaben zufolge immerhin zu, dringend benötigten Treibstoff in die Region zu liefern.
Der aserbaidschanische Präsident Ilham Aliyev entschuldigte sich unterdessen nach Angaben aus Moskau für den Tod von russischen Soldaten in Bergkarabach. Aliyev habe eine genaue Aufklärung des Vorfalls zugesagt, hiess es aus dem Kreml. Das Auto mit den russischen Insassen war am Vortag bei dem Ort Dschanjatag unter Feuer geraten. Offiziell wurde die Zahl der Toten nicht genannt, einige russische Medien sprachen von vier getöteten Soldaten.
Uno mahnt Dialog über Bergkarabach an
«Ein echter Dialog zwischen der Regierung Aserbaidschans und Vertretern der Region sowie die uneingeschränkte Beteiligung Armeniens und Aserbaidschans am Normalisierungsprozess sind der einzige nachhaltige Weg nach vorne», sagte der UN-Beauftragte Miroslav Jenca am Donnerstag in New York in einer Dringlichkeitssitzung des Uno-Sicherheitsrates zu dem Konflikt.
Oberste Priorität habe der Schutz der Zivilbevölkerung. Kampfhandlungen müssten dauerhaft eingestellt werden, sagte Jenca weiter.
Keine Gefahr für «Zivilbevölkerung»
«Zum jetzigen Moment ist unsere Einschätzung so, dass keine direkte Gefahr für die Zivilbevölkerung Bergkarabachs besteht», sagte Regierungschef Nikol Paschinjan am Donnerstag während einer Videoansprache. Das seit Jahrzehnten zwischen Baku und Eriwan umstrittene Bergkarabach liegt auf aserbaidschanischem Gebiet, wird jedoch mehrheitlich von Armeniern bewohnt, die nun mögliche Gewalt der siegreichen Militärs befürchten.
Paschinjan steht innenpolitisch unter hohem Druck. Die Opposition wirft ihm Untätigkeit und fehlende Unterstützung der Karabach-Armenier vor. Viele Menschen protestieren seit Tagen in Eriwan gegen die Regierung. (SDA)