Kleinkrimineller, Flüchtling, Islamist
So tickt der mutmassliche Berlin-Attentäter Anis Amri

Die Fahndung nach dem mutmasslichen Attentäter Anis Amri läuft auf Hochtouren. Seine Familie verneint jegliche Terroraktivitäten. Amri soll sich aber als Selbstmordattentäter angeboten haben.
Publiziert: 22.12.2016 um 19:09 Uhr
|
Aktualisiert: 01.10.2018 um 00:23 Uhr
Nicole Bruhin

Seit gestern Abend fahndet Europol international nach dem Tunesier Anis Amri, dem mutmasslichen Attentäter vom Berliner Weihnachtsmarkt. In Tunesien verhörten Ermittler einer Terror-Spezialeinheit nach einem Bericht der Zeitung «Al-Chourouk» die Verwandschaft des 24-Jährigen in der nordöstlichen Provinz Kairouan – einer Salafisten-Hochburg.

Amri war ehrgeizig, wollte nach oben

Amri ist in einer kinderreichen Familie aufgewachsen. Sein Vater erklärte der britischen Zeitung «The Times»: Sein Sohn sei ein normaler Teenager gewesen, mit einer Leidenschaft für Fussball. «Er war ehrgeizig und wollte seinen gesellschaftlichen und finanziellen Status verbessern», sagte der Vater. «Wegen der Armut der Familie hat Anis die Sekundarschule in Kairouan abbrechen müssen.»

So begann seine Karriere als Kleinkrimineller. «Er kam mit Alkohol und Drogen in Kontakt», sagt der Vater. Wegen Diebstählen und Gewaltdelikten kam er wiederholt mit dem Gesetz in Konflikt.

2010 erstmals straffällig

2010 soll er in seiner Heimat einen Lastwagen gestohlen haben und sei daraufhin zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden, berichtet die «Welt». Ein Jahr später, nach dem Sturz von Diktator Ben Ali, nutzte Amri die Gunst der Stunde zur Flucht nach Italien. Er landete als Bootsflüchtling im italienischen Lampedusa, wie die dortige Nachrichtenagentur Ansa berichtete.

In Lampedusa wurde Amri in einem Auffanglager untergebracht. Dieses soll er mit anderen Flüchtlingen angezündet haben. Dafür wanderte er in Palermo für vier Jahre ins Gefängnis. Nach Informationen der «Welt» wurde er wegen Gewalttaten, Brandstiftung, Körperverletzung und Diebstahls verurteilt. Mithäftlinge hätten ihn zudem als gewalttätig beschrieben. «Dort traf er extremistische Gruppen, von denen er sich angezogen fühlte», sagte Amris Vater. Amri sei aber bis zu seiner Flucht nach Europa nie religiös oder intolerant gegenüber Andersgläubigen gewesen. 

Im Frühjahr 2015 wurde Amri laut Ansa aus dem italienischen Gefängnis entlassen, konnte wegen Problemen mit den tunesischen Behörden aber nicht ausgewiesen werden. So sei er dann nach Deutschland weitergereist. Zuvor verbrachte Amri einige Zeit in der Schweiz, wie seine Mutter Nur Al-Huda Hassani in einem Interview mit der Nachrichtenagentur AP verriet.

Im Dunstkreis des Hasspredigers Abu Walaa

In Deutschland blieb er, jedoch ohne fixe Bleibe, wie sein Bruder sagt. Amri, der sechs verschiedene Namen verwendet haben soll, geriet in Deutschland wohl erneut in den Dunstkreis von Salafisten, darunter Hassprediger Ahmad Abdulaziz Abdullah A. alias «Abu Walaa», der kürzlich verhaftet wurde.

Ins Fadenkreuz der deutschen Sicherheitsbehörden geriet der Tunesier Amri offenbar schon Anfang Jahr. Er wurde observiert. Der Verdacht habe sich jedoch nicht bestätigt – die Observierung wurde im September eingestellt, wie gestern berichtet wurde. 

«Wir lehnen Terroristen und Terrorismus ab»

Die deutsche «Bild»-Zeitung hat mit Walid, dem Bruder des Terrorverdächtigen, gesprochen. Er lebt ebenfalls im tunesischen Kairouan, wo die ganze Familie herkommt. Walid arbeitet als LKW-Fahrer. Wo sein Bruder sich derzeit aufhalte, wisse er nicht. Zur «Bild»-Zeitung sagt er: «Vor ungefähr zwei Wochen hatten wir das letzte Mal Kontakt über Facebook. Ich habe keine Handynummer von ihm, wir haben immer nur über Facebook geschrieben.»

Weiter sagte er, falls sich wider Erwarten doch herausstellen sollte, dass sein 24-jähriger Bruder für den Anschlag verantwortlich sei, verdiene er «jede Strafe». Aber: «Wir lehnen den Terrorismus und die Terroristen ab, und wir haben keine Verbindung mit den Terroristen.»

Hatte er gar direkten Kontakt zum IS?

Heute jedoch schreibt «Spiegel Online», dass die Behörden schon viel länger wussten, wie gefährlich Anis Amri ist: Der Tunesier soll sich in Extremistenkreisen als Selbstmordattentäter angeboten haben.

Er soll sich im Internet über den Bau von Sprengsätzen informiert und direkten Kontakt zum IS gehabt haben. Das berichtet die «New York Times». Unklar blieb zunächst, auf welchen Zeitraum sich diese Angaben beziehen. Dem Bericht zufolge stand Amri mindestens einmal über den Messengerdienst Telegram in Kontakt mit dem IS. Sein Name habe zudem auf der Flugverbotsliste der USA gestanden.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?