Brexit – ja, nein, vielleicht? Niemand blickt bei dem Chaos auf der Insel noch durch. Am Montagabend will das britische Unterhaus erneut über verschiedene Varianten abstimmen. Auch Theresa May hat angekündigt, ein viertes Mal über ihren Brexit-Entwurf abstimmen lassen zu wollen.
Fast drei Jahre nach dem Votum ist die Situation völlig verfahren. Ob Mays Deal, ein zweites Referendum oder ein harter Brexit: Erst in der vergangenen Woche fielen alle Vorschläge durchs Parlament. Das ursprüngliche Austrittsdatum am 29. März verstrich ohne Aktion. (Alle Brexit-News finden Sie im BLICK-Ticker)
Dem obersten Europäer reicht es jetzt. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker (64) hat vom britischen Parlament rasche Klarheit über die Pläne des Landes zum EU-Austritt gefordert. «Eine Sphinx ist ein offenes Buch im Vergleich zum britischen Parlament», sagte er am Montag bei einer Sondersitzung des saarländischen Landtags in Saarbrücken. «Und wir müssen diese Sphinx jetzt zum Reden bringen. Es reicht jetzt mit dem langen Schweigen.»
Geduld sei «aufgebraucht», sagt Juncker
Juncker beklagte, dass in Sachen Brexit «niemand weiss, wo es lang geht». Die EU wisse, was das britische Parlament nicht wolle: «Was es aber will, haben wir bislang noch nicht in Erfahrung gebracht.»
Er bedauerte, dass die EU vor dem britischen Brexit-Referendum vom Juni 2016 nicht in Grossbritannien ihre Argumente für Europa habe vortragen dürfen. Dies sei der EU-Kommission vom damaligen Premierminister David Cameron verboten worden: «Von Herrn Cameron, der zu den grössten Zerstörern der neuzeitlichen Geschichte gehört.»
Dem italienischen Sender Rai 1 sagte Juncker bereits am Sonntagabend: «Wir hatten viel Geduld mit unseren britischen Freunden.» Die Geduld sei aber bald «aufgebraucht». Grossbritannien solle sich daher bald darauf einigen, welchen Weg es einschlagen wolle, mahnte Juncker.
Mays Brexit-Deal bereits dreimal abgelehnt
Mays Regierung ist im Brexit-Streit gespalten. Sie verlor erst kürzlich mehrere Kabinettsmitglieder. Proeuropäische Minister befürworten eine Zollunion mit der EU – andere Minister drohen mit dem Rücktritt, sollte May diese Idee verfolgen.
Die heutige Abstimmung im Parlament ist schon wie die am vergangenen Mittwoch rechtlich nicht bindend. Bedeutet: Theresa May müsste sich an ein Ergebnis nicht halten. Dann stünde allerdings möglicherweise der Wille des Parlaments gegen den der Regierung.
Um ihren unpopulären und bereits zweimal abgelehnten Brexit-Deal doch noch durchzubekommen, hatte May ihrer Partei vergangene Woche ihren Rücktritt angeboten – als Tausch gegen Unterstützung. Genützt hat das bislang nichts, ihr Deal fiel auch ein drittes Mal durchs Parlament. Die Opposition fordert Neuwahlen, Mays Rivalen bringen sich schon mal in Stellung.
Und die Briten? Die nehmen es mit Humor. Während der EU-Kommissionspräsident ernste Töne anschlägt, wird der Brexit auf der Insel zunehmends zur Lachnummer.
Am 23. Juni 2016 stimmten 51,9 Prozent der Briten für den Austritt aus der EU. Seit diesem Zeitpunkt fand zwischen der EU und Grossbritannien aber auch innerhalb des Vereinigten Königreichs ein langwieriger politischer Prozess der Kompromissfindung statt. Mehrere Abgeordnete und sogar Premierminister traten aufgrund der Vertragsverhandlungen zurück. Am 31. Januar 2020 trat Grossbritannien schliesslich aus der EU aus.
BLICK zeigt die wichtigsten Stationen des chaotischen Prozesses seit dem Austrittsvotum der Briten auf.
Am 23. Juni 2016 stimmten 51,9 Prozent der Briten für den Austritt aus der EU. Seit diesem Zeitpunkt fand zwischen der EU und Grossbritannien aber auch innerhalb des Vereinigten Königreichs ein langwieriger politischer Prozess der Kompromissfindung statt. Mehrere Abgeordnete und sogar Premierminister traten aufgrund der Vertragsverhandlungen zurück. Am 31. Januar 2020 trat Grossbritannien schliesslich aus der EU aus.
BLICK zeigt die wichtigsten Stationen des chaotischen Prozesses seit dem Austrittsvotum der Briten auf.
1. No Deal
Die Briten verlassen die EU ohne Deal am 12. April.
Dafür: 160
Dagegen: 400
2. Common Market 2.0
Grossbritannien soll in der Europäischen Freihandelszone und im Europäischen Wirtschaftsraum bleiben. Das ermöglicht die weitere Teilnahme am Binnenmarkt und ein «umfassendes Zollabkommen» mit der EU nach dem Brexit, das bis zum Abschluss eines umfassenderen Handelsabkommens, das einen reibungslosen Warenverkehr und eine offene Grenze in Irland gewährleistet, bestehen bleiben soll.
Dafür: 188
Dagegen: 283
3. EFTA und EEA (Norwegen-Modell)
Es ist die volle Teilnahme des Vereinigten Königreichs am Binnenmarkt via den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR), dem neben der EU auch die Efta-Staaten Island, Liechtenstein und Norwegen angehören. London würde bloss das Pferd wechseln und von der EU in die Efta zurückkehren, aus der die Briten 1973 ausgetreten waren.
Dafür: 65
Dagegen: 377
4. Zollunion (Kanada-Modell)
Erfordert eine Verpflichtung zur Aushandlung einer «permanenten und umfassenden britischen Zollunion mit der EU» in jedem Brexit-Deal.
Dafür: 254
Dagegen: 272
5. Zollunion und Angleichung an den Binnenmarkt (Labour-Plan)
Sieht eine enge Wirtschaftsbeziehung mit der EU vor. Der Plan umfasst eine umfassende Zollunion mit einer Stellungnahme des Vereinigten Königreichs zu künftigen Handelsabkommen, eine enge Abstimmung mit dem Binnenmarkt, die Anpassung an neue EU-Rechte und -Schutzmaßnahmen, die Beteiligung an EU-Agenturen und Finanzierungsprogrammen sowie eine Einigung über künftige Sicherheitsvereinbarungen, einschließlich des Zugangs zum Europäischen Haftbefehl.
Dafür: 237
Dagegen: 307
6. Abstimmung über harten Brexit
Nach diesem Plan müsste die Regierung, wenn sie ihre Austrittsvereinbarung durchbekommt, zwei Tage vor dem geplanten Austritt eine Abstimmung über einen No-Deal-Brexit durchführen. Wenn die Abgeordneten einen harten Brexit verweigern, müsste die Ministerpräsidentin den Brexit stoppen – das geht nach einem Beschluss des Europäischen Gerichtshofs einseitig.
Dafür: 184
Dagegen: 293
7. Zweites Referendum
Nach diesem Plan müsste das Volk über jeden möglichen Brexit-Deal abstimmen, der vom Parlament verabschiedet wurde.
Dafür: 268
Dagegen: 295
8. Contingent preferential arrangements (mehrere Abkommen)
Die Regierung müsste versuchen, einzelne Handelsabkommen mit der EU zu schliessen, falls sie keine Mehrheit für einen richtigen Brexit-Deal bekommt.
Dafür: 139
Dagegen: 422
Fabienne Kinzelmann
1. No Deal
Die Briten verlassen die EU ohne Deal am 12. April.
Dafür: 160
Dagegen: 400
2. Common Market 2.0
Grossbritannien soll in der Europäischen Freihandelszone und im Europäischen Wirtschaftsraum bleiben. Das ermöglicht die weitere Teilnahme am Binnenmarkt und ein «umfassendes Zollabkommen» mit der EU nach dem Brexit, das bis zum Abschluss eines umfassenderen Handelsabkommens, das einen reibungslosen Warenverkehr und eine offene Grenze in Irland gewährleistet, bestehen bleiben soll.
Dafür: 188
Dagegen: 283
3. EFTA und EEA (Norwegen-Modell)
Es ist die volle Teilnahme des Vereinigten Königreichs am Binnenmarkt via den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR), dem neben der EU auch die Efta-Staaten Island, Liechtenstein und Norwegen angehören. London würde bloss das Pferd wechseln und von der EU in die Efta zurückkehren, aus der die Briten 1973 ausgetreten waren.
Dafür: 65
Dagegen: 377
4. Zollunion (Kanada-Modell)
Erfordert eine Verpflichtung zur Aushandlung einer «permanenten und umfassenden britischen Zollunion mit der EU» in jedem Brexit-Deal.
Dafür: 254
Dagegen: 272
5. Zollunion und Angleichung an den Binnenmarkt (Labour-Plan)
Sieht eine enge Wirtschaftsbeziehung mit der EU vor. Der Plan umfasst eine umfassende Zollunion mit einer Stellungnahme des Vereinigten Königreichs zu künftigen Handelsabkommen, eine enge Abstimmung mit dem Binnenmarkt, die Anpassung an neue EU-Rechte und -Schutzmaßnahmen, die Beteiligung an EU-Agenturen und Finanzierungsprogrammen sowie eine Einigung über künftige Sicherheitsvereinbarungen, einschließlich des Zugangs zum Europäischen Haftbefehl.
Dafür: 237
Dagegen: 307
6. Abstimmung über harten Brexit
Nach diesem Plan müsste die Regierung, wenn sie ihre Austrittsvereinbarung durchbekommt, zwei Tage vor dem geplanten Austritt eine Abstimmung über einen No-Deal-Brexit durchführen. Wenn die Abgeordneten einen harten Brexit verweigern, müsste die Ministerpräsidentin den Brexit stoppen – das geht nach einem Beschluss des Europäischen Gerichtshofs einseitig.
Dafür: 184
Dagegen: 293
7. Zweites Referendum
Nach diesem Plan müsste das Volk über jeden möglichen Brexit-Deal abstimmen, der vom Parlament verabschiedet wurde.
Dafür: 268
Dagegen: 295
8. Contingent preferential arrangements (mehrere Abkommen)
Die Regierung müsste versuchen, einzelne Handelsabkommen mit der EU zu schliessen, falls sie keine Mehrheit für einen richtigen Brexit-Deal bekommt.
Dafür: 139
Dagegen: 422
Fabienne Kinzelmann