Keine Waffen – und kein Klartext
Warum sich Deutschlands Ukraine-Politik von den USA und Verbündeten unterscheidet

In der Ukraine-Krise geht Deutschland den Sonderweg. So will das Land anders als die westlichen Verbündeten keine Waffen in die Ukraine liefern.
Publiziert: 25.01.2022 um 11:41 Uhr
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Baerbock: «Entscheidung historisch verwurzelt.»
Foto: AFP

Der Westen eilt der Ukraine zur Hilfe. US-Präsident Joe Biden (79) will Tausende Soldaten ins Baltikum und nach Osteuropa senden. Auch Dänemark, Spanien, Frankreich und die Niederlande schicken Kriegsschiffe und Kampfflugzeuge in die Region.

Mehrere Länder liefern angesichts der Bedrohung durch Russland ausserdem Waffen. Bereits im vergangenen Jahr haben die USA mehr als 400 Millionen Dollar für «Sicherheitshilfen» zur Verfügung gestellt, im Dezember genehmigte Biden Lieferungen im Wert von weiteren 200 Millionen.

Auch die baltischen Staaten helfen und Grossbritannien flog allein vergangene Woche mehr als 2000 Panzerabwehr-Waffen rüber – plus Elitesoldaten, die ukrainische Streitkräfte trainieren sollen.

Nur Deutschland lehnt Waffenlieferungen und klare Worte ab. Und das, obwohl die Ukraine eindringlich um Hilfe bittet. Auch Nato-Verbündete wie Estland hindert Deutschland laut Medienberichten bereits daran, in Deutschland hergestellte Kriegsausrüstung in die Ukraine zu verlegen.

Baerbock verweist auf Geschichte

Der deutsche Sonderweg löst international Stirnrunzeln aus. Doch Deutschland bleibt bislang bei seiner Entscheidung.

«Unsere restriktive Haltung ist bekannt und historisch verwurzelt», sagte die deutsche Aussenministerin Annalena Baerbock (41) bei ihrem Besuch in Kiew vergangene Woche – ein Hinweis auf den Einmarsch Deutschlands in die Sowjetunion während des Zweiten Weltkriegs.

«Die Vorstellung, dass Deutschland Waffen liefert, mit denen dann Russen getötet werden könnten, ist für viele Deutsche sehr schwer zu ertragen», sagt Marcel Dirsus, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Sicherheitspolitik der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (ISPK), der Deutschen Welle.

Die Wissenschaftlerin Liana Fix vom German Marshall Fund erklärt gegenüber «Foreign Policy»: «Waffenlieferungen werden in anderen Ländern ganz klar als Abschreckungsmassnahme gesehen, während sie im deutschen politischen Diskurs als Beitrag zur weiteren Eskalation gesehen werden.»

Die deutsche Wissenschaftlerin Constanze Stelzenmüller kritisiert «Deutschlands Ausflüchte». Sie rührten von einer Innenpolitik her, die die «Realitäten des 21. Jahrhunderts» erst noch erfassen müsse, sagte die Expertin vom Think Thank Brookings Institution.

US-Aussenminister: «Deutschland teilt unsere Bedenken»

Deutschland rechtfertigt sich. Statt Militärhilfen unterstütze es Zivilhilfen – und finanziert etwa ein Feldlazarett mit.

Das sei nicht rational, sagt Stelzenmüller zu «Foreign Policy»: «Ich weiss nicht, wie wir deutlicher sagen könnten, dass wir mit Blutvergiessen rechnen. Aber dann nichts dagegen tun, ausser ein estnisches Feldlazarett mitzufinanzieren.»

Falls die USA über den deutschen Sonderweg enttäuscht sind, zeigen sie es nicht. Aussenminister Antony Blinken (59) besuchte in der vergangenen Woche Berlin. In einem TV-Interview sagte er am Sonntag, dass die Deutschen «unsere Bedenken sehr teilen und entschlossen sind, schnell, effektiv und einheitlich zu reagieren». Daran habe er keinen Zweifel. (kin)

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