Der russische Vize-Aussenminister Alexander Gruschko hielt sich am Mittwochabend bedeckt und erklärte lediglich: «Wir lesen. Studieren.» Die Nato-Staaten hätten die Vorschläge Moskaus schliesslich «fast anderthalb Monate lang» geprüft. In Paris kamen Vertreter Russlands, der Ukraine, Frankreichs und Deutschlands zu mehr als achtstündigen Gesprächen zusammen. Konkrete Ergebnisse im Ukraine-Konflikt brachte das Treffen nicht. Die USA warnten Russland erneut vor «massiven Konsequenzen» im Fall eines Einmarschs in die benachbarte Ukraine.
Die Nato und die USA hatten am Mittwoch jeweils schriftlich auf Forderungen Moskaus nach Garantien für die Sicherheit in Europa geantwortet. Bei der russischen Forderung nach Zusagen für ein Ende der Nato-Osterweiterung zeigten weder die Nato noch die USA Verhandlungsbereitschaft. Man habe Moskau deutlich gemacht, «dass es Kernprinzipien gibt, zu deren Wahrung und Verteidigung wir uns verpflichtet haben», sagte US-Aussenminister Antony Blinken. Dazu gehörten die Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine sowie das Recht von Staaten, ihre eigenen Bündnisse zu wählen.
Vertretungen sollen wieder öffnen
Die Nato bot Russland Verhandlungen über eine Verbesserung der Beziehungen an. «Wir sind bereit, uns die Sorgen Russlands anzuhören und eine echte Diskussion darüber zu führen, wie wir die fundamentalen Prinzipien der europäischen Sicherheit (...) bewahren und stärken können», sagte Generalsekretär Jens Stoltenberg. Dazu gehöre aber auch das Recht aller Staaten, selbst über ihren Weg zu entscheiden. Blinken sagte, Verhandlungsspielraum mit Moskau gebe es etwa bei Manövern in Europa oder bei der Rüstungskontrolle.
Nach Angaben von Stoltenberg hat die Nato der russischen Regierung konkret vorgeschlagen, die nach einem Spionage-Streit geschlossenen Vertretungen in Moskau und Brüssel wieder zu öffnen. Zudem wolle man die bestehenden militärischen Kommunikationskanäle in vollem Umfang nutzen, um die Transparenz zu fördern und Risiken zu verringern. Konkret schlage man vor, in einem ersten Schritt im Nato-Russland-Rat gegenseitige Unterrichtungen zu Manövern und Atompolitik vor.
Bis 120'000 Soldaten an der Grenze
Russland hatte der Nato und den USA im vergangenen Monat Entwürfe für Vereinbarungen übergeben, in denen der Kreml Sicherheitsgarantien in Europa verlangt. Unter anderem wird darin ein Ende der Nato-Osterweiterung gefordert, durch die sich Russland bedroht sieht. Insbesondere will der Kreml eine Aufnahme der Ukraine in das westliche Verteidigungsbündnis verhindern. Die USA und die Nato verdächtigen den russischen Präsidenten Wladimir Putin wiederum, einen Einmarsch in die benachbarte Ukraine zu planen. Der Kreml weist das zurück. Seine Forderungen an den Westen hatte der Kreml mit einem bedrohlichen Truppenaufmarsch an der Grenze zur Ukraine flankiert.
Nach Erkenntnissen westlicher Geheimdienste setzte Russland seinen Truppenaufmarsch zuletzt in hohem Tempo fort. Es könne davon ausgegangen werden, dass mittlerweile 112'000 bis 120'000 Soldaten in dem Gebiet seien, sagte ein ranghoher Nachrichtendienstvertreter der Deutschen Presse-Agentur. Nicht miteingerechnet seien dabei die bewaffneten Kräfte der von Russland kontrollierten Separatisten im Donbass. Sie werden auf rund 35'000 beziffert. Zu der Frage, wie viele weitere russische Soldaten sich derzeit noch im Anmarsch befinden, wollte sich der Geheimdienstler nicht konkret äussern. Er betonte allerdings, dass sich die Stärke der russischen Truppe im Grenzgebiet zur Ukraine in den kommenden Wochen noch einmal deutlich erhöhen könnte.
«Sicherheitsbedenken Russlands nicht berücksichtigt»
Weder die Nato noch die US-Regierung veröffentlichten ihre an Moskau übermittelten Schriftstücke. Blinken betonte, die Antworten der US-Regierung auf die Sorgen Moskaus seien vollständig mit der Ukraine und den europäischen Verbündeten abgestimmt. «Wir haben ihren Input eingeholt und in die endgültige Fassung, die Moskau übermittelt wurde, eingearbeitet.» Er erwarte, in den kommenden Tagen mit dem russischen Aussenminister Sergej Lawrow darüber zu sprechen.
Der russische Aussenpolitiker Leonid Sluzki betonte, die Schreiben aus Brüssel und Washington müssten erst einmal untersucht werden. «Aber nach den Aussagen des Generalsekretärs der Allianz und des US-Aussenministers wurden die Sicherheitsbedenken Russlands nicht berücksichtigt», kritisierte er.
China warnt USA, Russlands Besorgnisse ernst zu nehmen
Im Konflikt müssen aus chinesischer Sicht die legitimen Besorgnisse Russlands um seine Sicherheit «ernst genommen und gelöst» werden. In einem Telefonat mit Antony Blinken mahnte Chinas Aussenminister Wang Yi alle Parteien, zurückhaltend zu sein, wie das Aussenministerium am Donnerstag in Peking berichtete. Es müsse davon abgesehen werden, die Spannungen zu verschärfen oder zu spekulieren, um die Krise zu übertreiben.
Die Sicherheit eines Landes könne nicht auf Kosten eines anderen gehen. Auch könne regionale Sicherheit nicht durch die Stärkung oder sogar Ausweitung militärischer Blöcke garantiert werden, hob Wang Yi hervor. Im 21. Jahrhundert sollten alle Parteien «die Mentalität des Kalten Krieges komplett aufgeben» und durch Verhandlungen eine ausgewogene und nachhaltige Sicherheitsarchitektur in Europa formen.
Für eine Lösung des Ukraine-Problems sei es notwendig, zum Anfang des Abkommens von Minsk zurückzukehren, sagte Wang Yi. China unterstütze alle Bemühungen, die in diese Richtung gingen. Das Abkommen wurde 2014 fünf Monate nach Beginn der Kämpfe zwischen Soldaten der Regierung gegen von Russland unterstützte Separatisten im Osten der Ukraine vereinbart. Es war ein erster Waffenstillstand mit einem Friedensplan. Doch es hapert an der Umsetzung.
Bekenntnis zur Waffenruhe
Bei den Beratungen am Mittwoch in Paris verständigten sich Russland und die Ukraine unter Moderation von Deutschland und Frankreich auf ein Bekenntnis zu der 2020 vereinbarten Waffenruhe. Russland rief die Regierung in Kiew zum Dialog mit den Kräften im Krisengebiet Donbass auf. Der Moskauer Unterhändler und stellvertretende Leiter der Präsidialverwaltung Dmitri Kosak sagte am Mittwoch in Paris nach den achteinhalbstündigen Krisengesprächen im sogenannten Normandie-Format, dass Kiew nun zwei Wochen Zeit habe, eine Position zu erarbeiten. Dann solle es ein Nachfolgetreffen in Berlin geben.
Blinken zeigte sich im Ukraine-Konflikt von der deutschen Solidarität «absolut überzeugt». «Ich sehe eine sehr starke Solidarität in Bezug auf die Konsequenzen, die auf Russland zukommen werden, wenn es seine Aggression gegen die Ukraine erneuert, und zwar auf der ganzen Linie. Und das schliesst Deutschland ein», sagte er. (SDA/man)