Trotz Arbeitstag und Weihnachtsstress: Für die Wahl ihres neuen Parlaments nahmen sich die Katalanen gestern Zeit – die Wahlbeteiligung erreichte Höchstwerte. Zur Wahl ging auch Patricia Juarez (37) aus Barcelonas Viertel Poblenou. «Ich bin extra früher aus der Arbeit, um wählen zu gehen.» So wie Juarez waren gestern 5,5 Millionen Katalanen wahlberechtigt. Eigentlich wäre die nächste Wahl erst 2019 angestanden. Doch die Neuwahl wurde fällig, als die Zentralregierung in Madrid die aufmüpfige Regierung in Barcelona absetzte – als Reaktion auf das in den Augen Madrids illegale Referendum über die Unabhängigkeit.
Knappe Mehrheit für Separatisten
Im neuen Parlament haben sich die Gewichte leicht verschoben. Die separatistische Liste JuntsxCat (Gemeinsam für Katalonien) des im Oktober abgesetzten Regionalpräsidenten Carles Puigdemont übertrifft zwar die Prognosen und bleibt mit 34 Sitzen tonangebend im Lager der Seperatisten. Grosse Siegerin der Wahl ist jedoch die liberale Bürgerpartei, die sich für einen Verbleib Kataloniens in Spanien ausspricht. Sie überflügelte Puigdemonts Separatisten und ergatterte satte 37 Sitze. Insgesamt können die Spanien-kritischen Bewegungen jedoch eine knappe Mehrheit im 135 Sitze umfassenden Parlament halten.
Bereits am Vormittag hatte in Barcelona gespannte Ruhe geherrscht. Schulen waren umfunktioniert zu Wahllokalen. Polizisten sicherten die Eingänge. Schon am Morgen gab es Warteschlangen. Auch in der Schule Ramon Llull in Eixample, nur zwei Querstrassen von der berühmten Kathedrale La Sagrada Família entfernt. Von hier kamen die Bilder von Polizisten, die am 1. Oktober bei der Unabhängigkeits-Abstimmung Grossmütter blutig prügelten.
Es gibt auch Stimmen, die für den Dialog sind
Noch heute sind die Katalanen über das damalige Vorgehen der Zentralregierung des rechten Partido Popular (PP) empört: «Mit meiner Stimme, zahle ich es dem PP heim», sagt Jose Maria (50). Er versuchte damals die Polizei vor dem Abtransport der Wahlurnen abzuhalten. Gestern ging er wieder wählen. «Meine Stimme ging an den Präsidenten.» Das ist für ihn immer noch Puigdemont, der nach Brüssel floh, von wo er sich aber regelmässig per Liveschaltung in den Wahlkampf einmischte.
Es gibt sie aber auch immer noch die Stimmen, die für einen Dialog mit Madrid eintreten, auch hier in der Schule Ramon Llull. Sie wählen die prospanischen Sozialisten oder die liberal-bürgerlichen Ciudadanos. Doch auch Katalanen, die keinen abrupten Bruch mit Madrid wollen, wählten Parteien der Independistas. Zum Beispiel Victoria Carceller (51): «Um Madrid zurück an den Verhandlungstisch zu bringen, brauchen die Separatisten möglichst viele Stimmen – nur so ist Madrid zu Gesprächen bereit.»