«Wir essen Fische, weil sie nicht schreien»
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Kapitän Peter Hammarstedt:Dieser Kapitän kämpft für die Rechte der Fische

Kapitän und Aktivist Peter Hammarstedt
«Wir essen Fische, weil sie nicht schreien»

Seit er als 14-Jähriger ein Foto eines toten Wals gesehen hat, weiss Peter Hammarstedt, dass er den Ozean und seine Bewohner schützen will. Der Kapitän von Sea Shepherd über leere Meere, unser mangelndes Interesse für Fische und gefährliche Einsätze.
Publiziert: 16.10.2022 um 18:53 Uhr
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Peter Hammarstedt (37), Aktivist und Kapitän bei Sea Shepherd. Teilweise war er mit seinem Schiff Bob Barke acht Monate auf hoher See.
Foto: Tara Lambourne
Interview: Alexandra Fitz

Wir schippern hier eineinhalb Stunden über den Zürichsee. Sie waren teilweise acht Monate im Jahr auf hoher See und haben Walfänger durch die Antarktis gejagt. Warum haben Sie Ihr Leben dem Ozean verschrieben?
Peter Hammarstedt:
Gesunde Ozeane sind wichtig. Sie produzieren rund 70 Prozent des Sauerstoffs, den wir atmen. Was das Fischen betrifft: Die Hälfte der Weltbevölkerung lebt an der Küste. Für viele Menschen, gerade in Entwicklungsländern, ist Fisch der Hauptproteinlieferant. Neben dem Nutzen für uns haben Meerestiere aber auch einen eigenen Wert.

Ich gehe davon aus, dass Sie keinen Fisch essen.
Ich bin seit zwanzig Jahren Veganer.

Ich gehe davon aus, dass Sie wollen, dass keiner mehr Fisch ist.
Ich habe zu viel gesehen, um mit gutem Gewissen sagen zu können, dass Leute industriell gefangenen Fisch essen sollen. Wir haben heute nur noch die Hälfte der Fische, die wir vor 50 Jahren hatten. 90 Prozent der Gewässer sind überfischt oder vollständig ausgebeutet. 20 Prozent werden illegal herausgezogen – das heisst jeder fünfte Fisch.

Was heisst illegal?
Das kann vieles bedeuten. Ein Schiff hat keine Lizenz, und nirgendwo wird dokumentiert, was die Fischer herausziehen. Ein anderes Problem sind die Fanggeräte. Schleppnetze unterscheiden nicht zwischen Fischarten, so landet viel Beifang im Netz. Letztes Jahr war ich in Gabun, Zentralafrika, mit dem Minister für Fischerei auf einem Shrimps-Schiff. Was wir da gesehen haben, schockte den Minister. Als das Riesennetz an Bord kam, waren bloss 0,2 Prozent Shrimps. Der Rest waren andere Meerestiere.

Kann man die nicht zurück ins Meer werfen?
Die meisten sind tot. Sie sind zwei, drei Stunden in diesen Netzen gefangen, das ist wie eine Waschmaschine für die Tiere. Wir töten mehrere Tausend Meeresbewohner für einen Crevetten-Cocktail.

Wollen Sie mir sagen, das war neu für den Minister?
Ja, er war noch nie mit auf hoher See. Zudem ist Gabun ein Entwicklungsland, sie haben nicht die Mittel, um alle Schiffe zu kontrollieren.

Was passierte?
Er orderte das Boot zurück in den Hafen. Nicht nur das, alle Shrimps-Boote. Sie liegen immer noch im Hafen. Aber es gibt ja noch die vielen ausländischen Schiffe, die in den westafrikanischen Gewässern fischen. Deswegen müssen Regierungen kooperieren. Die Hälfte der Ozeane ist hohe See und gehört zu keiner Nation, sie ist reguliert durch Abkommen zwischen Ländern.

Kapitän und Aktivist Peter Hammarstedt

Als er 14 Jahre alt war, spendete er 200 Dollar an Greenpeace. Mit 18 sagte er seinem Kollegen: «Ich will Wale retten.» «That’s ridiculous» («Das ist lächerlich»), sagte der Freund. Hammarstedt ging zur Organisation Sea Shepherd und wurde Kapitän. Teilweise war er mit seinem Schiff Bob Barker acht Monate im Jahr auf See, um Walfänger in der Antarktis zu stoppen. Früher habe er in Schwarz-Weiss gedacht, sagt der schwedisch-amerikanische Doppelbürger. Heute habe er erkannt, dass sie mehr erreichen, wenn sie mit Regierungen zusammenarbeiten, anstatt auf hoher See Boote zu rammen. Der 37-Jährige ist Kampagnenleiter und lebt seit zweieinhalb Jahren in Los Angeles. Hammarstedt ist verlobt.

Tara Lambourne

Als er 14 Jahre alt war, spendete er 200 Dollar an Greenpeace. Mit 18 sagte er seinem Kollegen: «Ich will Wale retten.» «That’s ridiculous» («Das ist lächerlich»), sagte der Freund. Hammarstedt ging zur Organisation Sea Shepherd und wurde Kapitän. Teilweise war er mit seinem Schiff Bob Barker acht Monate im Jahr auf See, um Walfänger in der Antarktis zu stoppen. Früher habe er in Schwarz-Weiss gedacht, sagt der schwedisch-amerikanische Doppelbürger. Heute habe er erkannt, dass sie mehr erreichen, wenn sie mit Regierungen zusammenarbeiten, anstatt auf hoher See Boote zu rammen. Der 37-Jährige ist Kampagnenleiter und lebt seit zweieinhalb Jahren in Los Angeles. Hammarstedt ist verlobt.

Wer ist der grosse Player?
Das ist die chinesische Fischereiflotte. Sie hat 2700 Boote, die international fischen, weil sie ihre eigenen Fischbestände fast ausgerottet haben.

Und neben China?
Schiffe aus der EU – die grösste Zahl kommt aus Spanien. Sie treffen Abkommen mit Entwicklungsländern, um in ihren Gewässern zu fischen. Das Ziel der EU ist, billigen Fisch auf den europäischen Markt zu bringen. Wir sorgen uns, ob die Westafrikaner genug Kapazität haben, um die Fischerei zu überwachen, und ob diese Region, die noch Fisch hat, bald auch leer gefischt sein wird.

Was bedeutet das für die lokalen Fischer?
Nichts Gutes. Wenn es keine Fische mehr hat und die Menschen keine Einnahmequelle mehr, machen sie sich auf nach Europa. Die Regierungen haben zwar Regionen geschaffen, die nur für die lokalen Fischer sind. Aber wenn es keine Kontrollen gibt, dringen die internationalen Fischer mit ihren grossen Schiffen näher an Land. Das bedeutet wiederum: Wenn es in Küstennähe weniger Fisch gibt, gehen die lokalen Fischer auch weiter raus. Das ist gefährlich. Sie haben keine Ausrüstung dafür, die wenigsten können schwimmen.

Konnten Sie in Westafrika schon etwas erreichen?
Seit 2015 haben wir mit unseren Regierungspartnern 80 Schiffe festgesetzt. Wir stellen Schiffe zur Verfügung, eine Crew, patrouillieren und beobachten. Die Länder haben die Strafverfolgungsbehörde, die Küstenwache und die Autorität zu verhaften.

Wieso kümmert uns das alles nicht?
Wir sehen, wenn Wälder gerodet werden, unter Wasser sehen wir das nicht. Und die Leute haben bei anderen Tieren grössere ethische Bedenken.

Die Menschen haben mehr Mitgefühl mit Säugetieren als mit Fischen?
Ja. Ich nenne sie Disney-Vegetarier. Sie interessieren sich nur für die herzigen Tiere mit den grossen Augen. Es gibt einen weiteren Grund, warum uns Fische nicht interessieren. Fische haben keine Stimmbänder und schreien nicht. Stellen Sie sich vor, was das für eine Horrorshow wäre, wenn Tausende dieser lebenden Kreaturen in den Netzen auf Deck schreien würden. Da würde niemand sagen: «Das ist okay.» Wissenschaftlich ist bewiesen, dass Fische ähnlich wie wir Schmerz empfinden.

Es interessiert sich einfach keiner für Fische.
Und das, obwohl zweimal so viel Fische getötet werden als alle anderen Tiere zusammen. Die Öffentlichkeit weiss zu wenig über die Fischindustrie. Sie weiss nicht, was die kommerzielle Fischerei für Auswirkungen auf andere Lebewesen wie Delfine, Wale und Meeresschildkröten hat. Ist es nachhaltig, wenn ein 80-Meter-Schiff, das jeden Tag sechs bis acht Tonnen Benzin verbrennt, von Europa nach Westafrika fährt, um Thunfisch zu fangen und den dann wieder zurück nach Europa exportiert?

Nein, aber lukrativ.
Ja, die Fischindustrie ist ein grosses Business. Es herrscht aber eine romantisierende Vorstellung vom Fischen. Jeder, der noch nie auf einem industriellen Fischfangboot war, hat die Idee, dass ein Fischer im Morgengrauen seinen Heimatort verlässt, um im Holzboot der lokalen Bevölkerung den Fisch des Tages zu bringen. Das ist nicht die Realität.

Haben Sie eigentlich Hoffnung?
Ja, das habe ich. Aktivismus muss nachhaltig sein. Ich will, dass wir uns ethische Überlegungen zum Fisch machen, und ich möchte das Ende der illegalen Fischerei. Und zwar heute. Das ist eine grosse Herausforderung. Wir reden von Hunderttausenden Schiffen, die illegal fischen. In Gabun und Liberia haben wir die illegale Fischerei weitgehend eliminiert. Wenn wir es da können, können wir es auch an anderen Orten.

Seit 2019 ist Sea Shepherd auch im Mittelmeer aktiv. Warum?
Das Mittelmeer ist am stärksten überfischt. Die Fischpopulationen sind in 100 Jahren um 90 Prozent gesunken.

Warum kommen Sie dann erst jetzt?
Sea Shepherd war ursprünglich eine Gruppe, die sich gegen Walfang eingesetzt hat. Deswegen bin ich dazugestossen. Ich habe zehn Jahre japanische Walfangschiffe in der Antarktis gejagt. Wir haben unser Ziel erreicht und das Abschlachten von Walen im antarktischen Walschutzgebiet beendet. So hatten wir die Möglichkeit, uns auf etwas anderes zu fokussieren. Japan, Island und Norwegen töten zusammen über 3000 Wale jedes Jahr, aber 300'000 Delfine und Wale werden jedes Jahr durch die industrielle Fischerei getötet. Walfang war nicht die grösste Umweltherausforderung unserer Zeit. Darauf kamen wir eigentlich per Zufall.

Per Zufall?
Ja, meine Crew und ich fanden 2014 in der Antarktis ein Walfangschiff, das von Interpol gesucht wurde. Das Boot hiess Thunder und war ein illegales Fischerboot. Wir haben es 110 Tage gejagt. Von der Antarktis bis zum Golf von Guinea in Westafrika. Der Besitzer des Schiffs war in der galizischen Mafia. Der Kapitän involviert im Kokainhandel. Das ist organisierte Kriminalität. Der Kapitän konnte uns nicht abschütteln, also hat er sein eigenes Boot versenkt, um die Beweise zu vernichten.

Was waren die Beweise?
34 Tonnen illegal gefangener Antarktis-Dorsch.

Und was wurde aus der Crew?
Sie stiegen in Rettungsboote. Wir mussten alle retten und übergaben sie der Küstenwache auf São Tomé und Príncipe.

Wurde der Kapitän verhaftet?
Ja und zu drei Jahren Gefängnis und 15 Millionen Euro Strafe verurteilt. Es war ein grosser Erfolg.

Was für Schiffe haben Sie noch festgesetzt?
Wir haben die Küstenwache in Liberia dabei unterstützt, ein Schiff aufzuhalten, das gefährdete Haie tötete, um Haifischleberöl für Kosmetik zu produzieren. Dieses einzelne Schiff tötete jedes Jahr eine halbe Million Haie.

Eine halbe Million! Ist es erlaubt, Haie zu töten?
Es kommt auf die Gesetze des Landes an. Dieses Boot fischte illegal. Seit vier Jahren sitzt das Schiff fest und hat nicht mehr gejagt. Das ist eines der 80 Schiffe in Westafrika, die festgesetzt wurden. Das sind zwei Millionen Haie, die wir gerettet haben. Darauf bin ich stolz. Sie fragten mich vorhin, ob ich Hoffnung habe. Das macht mir Hoffnung.

Sea Shepherd stellt sich Schiffen in den Weg, rammt diese oder bringt sie in Seenot. Sie werden auch als Öko-Terroristen bezeichnet.
In der Vergangenheit waren wir oft auf hoher See, wo es wenig Strafverfolgung gibt. Wenn die Regierungen nichts unternehmen, müssen es private Organisationen tun. Wir arbeiten heute mit Behörden zusammen, weil das der effektivste Weg ist, um Meeresbewohner zu retten.

Das heisst, Sea Shepherd wurde milder?
Ich war in Schiffskollisionen verwickelt, aber das war in Gebieten, wo es keine Strafverfolgung gab. Wenn jemand das Gesetz bricht, also illegal Wale fängt, reicht es nicht, die Tat zu fotografieren oder eine Facebook-Gruppe zu gründen. Dann muss man sich ihnen physisch in den Weg stellen. Unsere Aktionen waren nie gewalttätig, und wir machten sie, um die Tat zu vermeiden. Ich finde, das ist akzeptabel.

Umstrittene Umweltorganisation

Gegründet wurde die Organisation Sea Shepherd («Meereshirte») 1977 vom Kanadier Paul Watson (71), mit dem Ziel, die Ausbeutung von Meereslebewesen zu bekämpfen. Watson war bei den Anfängen von Greenpeace dabei, doch die Organisation war ihm zu wenig radikal. Sea Shepherd wurde zu einer umstrittenen Umweltgruppe. Sie rammten Walfänger oder zerstörten Treibnetze. Sea Shepherd rechtfertigt sich, dass die Durchsetzung internationaler und nationaler Gesetze zum Schutz der Ozeane schwierig sei. Deswegen greifen sie direkt ein, um marine Ökosysteme und die Tierwelt auf hoher See zu schützen. Heute arbeiten sie mit Strafverfolgungsbehörden wie Interpol und nationalen Behörden zusammen, um etwa gegen illegale Fischerei vorzugehen. Ihre Flotte umfasst elf Schiffe und mehrere kleinere Boote, die in verschiedenen Meeresschutzkampagnen eingesetzt werden.

Keystone

Gegründet wurde die Organisation Sea Shepherd («Meereshirte») 1977 vom Kanadier Paul Watson (71), mit dem Ziel, die Ausbeutung von Meereslebewesen zu bekämpfen. Watson war bei den Anfängen von Greenpeace dabei, doch die Organisation war ihm zu wenig radikal. Sea Shepherd wurde zu einer umstrittenen Umweltgruppe. Sie rammten Walfänger oder zerstörten Treibnetze. Sea Shepherd rechtfertigt sich, dass die Durchsetzung internationaler und nationaler Gesetze zum Schutz der Ozeane schwierig sei. Deswegen greifen sie direkt ein, um marine Ökosysteme und die Tierwelt auf hoher See zu schützen. Heute arbeiten sie mit Strafverfolgungsbehörden wie Interpol und nationalen Behörden zusammen, um etwa gegen illegale Fischerei vorzugehen. Ihre Flotte umfasst elf Schiffe und mehrere kleinere Boote, die in verschiedenen Meeresschutzkampagnen eingesetzt werden.

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