Ganz hingerissen schaute die Welt am 4. November 2015 nach Kanada. An jenem Tag wurde Justin Trudeau als 23. Premierminister des Landes vereidigt. Nach einem Jahrzehnt konservativer Dominanz in Ottawa löste der 45-Jährige vor allem unter jungen Kanadiern eine Welle der Euphorie aus. Manche sahen in dem attraktiven, weltoffenen Politiker den jüngeren Bruder Barack Obamas.
Über ein Jahr konnte Trudeau sein Saubermann-Image aufrechterhalten. Jetzt sorgt er für den ersten Skandal: Wie gestern bekannt wurde, will die kanadische Ethikkommission die Familienferien des Premiers untersuchen.
Gegen ethische Regeln verstossen?
Trudeau hatte Weihnachten mit Ehefrau Sophie Grégoire (41) und seinen drei Kindern auf Bell Island in den Bahamas verbracht. Die Insel gehört Karim Aga Khan IV., dem Oberhaupt der schiitischen Glaubensgemeinschaft der Ismailiten. Er gilt als einer der reichsten Männer der Welt und ist eng mit Trudeau befreundet.
Die Familie war mit dem Aga Ljams Helikopter auf die Insel geflogen – obwohl die Nutzung von Privatflugzeugen für Regierungsmitglieder nur nach vorheriger Zustimmung der Ethikbehörde zulässig ist.
Trudeau hatte diese Regeln zur Verhinderung von Interessenkonflikten selbst eingeführt. Darin heisst es: «Kein Minister (...) oder einer seiner Familienangehörigen dürfen in privaten Maschinen mitfliegen, egal aus welchem Grund, es sei denn, es ist für die Ausführung des Amtes zwingend notwendig.»
Gestern kündigte die Ethikkommissarin Mary Dawson in einem Brief an einen Oppositionspolitiker an, sie wolle überprüfen, ob Trudeau mit den Ferien auf Aga Khans Kosten und der Nutzung von dessen Privathelikopter gegen ethische Regeln verstossen hat.
Kanadier besorgt
Trudeau sagte vor Journalisten, dass er wegen der Nutzung des Helikopters «kein Problem» sehe. Schliesslich sei Aga Khan ein «Freund der Familie». Trudeaus Büro kündigte jedoch an, dass der Premierminister die Kosten für den Flug nach Nassau an Bord einer Regierungsmaschine zurückerstatten werde.
Gestern räumte Trudeau ein, dass einige Kanadier wegen der Familienferien «besorgt» seien. Er werde deshalb «alle Fragen der Ethikkommission» beantworten. «Ich bin sicher, die Vorwürfe werden ausgebügelt».
Die konservative Opposition sieht einen möglichen Interessenkonflikt, denn die kanadische Regierung hat die Aga-Khan-Stiftung in der Vergangenheit mit Millionenbeträgen subventioniert. (gr)