Jüngstes Opfer war vier Jahre alt
151 Fälle von sexuellem Missbrauch in Samen-Dorf

Kinder und Jugendliche in der 2000-Einwohner-Kommune Tysfjord in Lappland wurden jahrelang sexuell missbraucht. Die Polizei hat die Ermittlungen erst aufgenommen, als eine Zeitung darüber berichtete.
Publiziert: 29.11.2017 um 16:58 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 23:45 Uhr
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Polizeisprecherin Tone Vangen glaubt, dass «gewisse Mechanismen» in der Gemeinschaft es «erschwert haben, dass die Dinge öffentlich werden».
Foto: nrk

In der lappländischen Kommune Tysfjord wurden junge Mädchen jahrelang von Familienmitgliedern oder Freunden der Familie sexuell missbraucht. Die norwegische Polizei deckte 151 Fälle auf, wie «Nrk.no» berichtet.

Bisher konnten die Behörden 82 Opfer im Alter von 4 bis 75 Jahren identifizieren und 92 Verdächtige zwischen 10 und 80 Jahren, darunter auch Frauen, festnehmen. Von den 151 Fällen ist bei 43 von Vergewaltigung die Rede. In 40 Fällen handelt es sich um Straftaten mit Kindern unter 14 Jahren. Die meisten Opfer waren zur Tatzeit jedoch Mädchen im Alter von 15 und 16 Jahren.

Bereits 2016 wandten sich elf Opfer an die Polizei – ohne Erfolg. Erst als die Zeitung «Verdens Gang» die Zeugenaussagen der Männer und Frauen veröffentlichte, wurden Ermittlungen aufgenommen.

Gemeinschaft verschwieg die Taten

70 Prozent der Opfer der 2000-Einwohner-Kommune gehören dem Volk Samen an. «Die Polizei hat keinen Grund zur Annahme, dass die Ethnie oder Religion als Erklärung für die Missbräuche herangezogen werden kann», sagte Polizeisprecherin Tone Vangen bei einer Pressekonferenz in Hamaroy. Trotzdem glaubt sie, dass «gewisse Mechanismen» in der Gemeinschaft es «erschwert haben, dass die Dinge öffentlich werden».

Denn manche Täter hätten sich an religiöse Vertreter gewandt, um Beichten abzulegen, statt sich den Behörden zu stellen. Die Samen hätten die Dinge lieber untereinander geklärt.

Mehr als 100 Fälle verjährt

«Es ist schmerzhaft, festzustellen, dass es über all die Jahre so viele Fälle gab. Aber ich bin auch stolz, dass die Gesellschaft sich traut, das Schweigen zu brechen», sagt der Leiter des Samen-Kulturzentrums in Tysfjord, Lars Magne Andreassen. Seiner Ansicht nach sei nicht das kulturelle Verständnis des Volkes das grosse Problem, sondern die Tatsache, dass keiner den Menschen zugehört habe.

Mehr als 100 Fälle wurden wegen Verjährung fallengelassen. Denn einige von ihnen datieren auf das Jahr 1953. Der letzte bekannte Missbrauch fand im August 2017 statt.

Die meisten Untersuchungen laufen noch. Nur zwei Personen wurden bisher angeklagt. Einer der beiden Täter ist ein Mann in den 40ern, der sechs Frauen sexuell missbraucht haben soll. Das Urteil wird im Dezember erwartet. (man) 

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