Wie europäische Polizisten das organisierte Verbrechen austricksten
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Tausende Kriminelle verhaftet:So tricksten Polizisten das organisierte Verbrechen aus

Johnny Swales und «EncroChat»
So knackte die Polizei das «Whatsapp für Kriminelle»

Johnny Swales, ein Betrüger aus Holland, hat dutzende Kriminelle mit abhörsicheren Telefonen ausgestattet. Weil aber die Behörden die Codes knackten, gelang ihnen der bisher grösste Schlag gegen das organisierte Verbrechen in Europa.
Publiziert: 09.07.2020 um 16:37 Uhr
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Aktualisiert: 09.07.2020 um 17:07 Uhr
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Johnny Swales (43) hat Dutzenden Kriminellen verschlüsselte Telefone beschafft. Weil diese jahrelang abgehört wurden, gelang europäischen Strafverfolgungsbehörden der grösste bisherige Schlag gegen das organisierte Verbrechen.
Foto: belfasttelegraph
Fabian Vogt

Johnny Swales (43) sieht aus wie jemand, mit dem man eine gute Zeit haben kann. Lachfalten unter den Augen, etwas beleibt, freundliches Gesicht. Doch wer ihm vertraut, tappt in die Falle. In Belfast nennt man den Ex-Soldaten «König des Betrugs». Mindestens zwölfmal soll er seinen Namen geändert und ahnungslosen Opfern Geld und Ausweise abgeknöpft haben.

Auch Diebstahl und weitere Delikte stehen auf der rund 70 Vorstrafen umfassenden Liste des Mannes, der in Nordirland nur «King Con» genannt wird. Derzeit sitzt er mal wieder auf der Anklagebank, er soll eine Ex mit Sex-Videos erpresst haben.

«EncroChat»: Whatsapp für Kriminelle

Johnny Swales ist aber vor allem auch die Person, die unwissentlich mitgeholfen hat, das grösste Verbrechernetzwerk zu zerschlagen, das Europa bisher gesehen hat. Swales soll Dutzende Berufskollegen mit «EncroChat»-Telefonen versorgt haben.

«EncroChat» ist quasi das Whatsapp für Kriminelle. Ein abhörsicheres Chat-System, über das sich Gangster austauschen können. Ursprünglich 2015 als App für Promis entwickelt, die Angst hatten, ihre Telefone könnten gehackt werden, wurde das Tool rasch zum Dienstleister für das organisierte Verbrechen. Laut der englischen Polizei Scotland Yard waren mindestens 90 Prozent der Nutzer Kriminelle, die glaubten, damit ungestört und sicher ihre Geschäfte planen zu können.

Was die Verbrecher nicht wussten: Die Behörden lasen mit. Jahrelang. Bereits 2017 gelang es französischen Cyber-Spezialisten, die Server der Firma zu lokalisieren und sich anschliessend Zugang zu den Geräten zu verschaffen. So hörte die Polizei zu, wie Menschenschmuggler, Auftragsmörder oder Drogenbarone ihre Verbrechen planten. Mehrere Millionen Chat-Protokolle wurden ausgewertet, ihre Erkenntnisse teilten die Franzosen mit Strafverfolgungsbehörden in halb Europa.

Auch Folter-Bande von Rotterdam nutzte den Chat

«Es war, als hätten wir einen Insider in jeder kriminellen Organisation Europas», sagte Nikki Holland, Direktorin der Nationalen Strafverfolgungsbehörde (NCA) in England, gegenüber den Medien. Ihre holländische Kollegin Jannine van den Berg sieht es gleich: «Es fühlte sich an, als würden wir mit den Kriminellen an einem Tisch sitzen.»

«EncroChat» realisierte diesen Sommer, dass etwas nicht stimmt. Am 13. Juni warnte sie ihre rund 60'000 Nutzer, sofort alle Telefone wegzuschmeissen. Man habe bemerkt, dass jemand mitliest. Die Warnung kam viel zu spät – und die Behörden schlugen zu.

In den Niederlanden führten die Ermittlungen zu mehr als hundert Festnahmen und der Beschlagnahmung von mehr als 8 Tonnen Kokain und 1,2 Tonnen Crystal Meth. Ausserdem wurden 19 Drogenlabore für synthetische Drogen entdeckt, Dutzende von automatischen Schusswaffen, 25 Autos sowie umgerechnet mehr als 20 Millionen Schweizer Franken beschlagnahmt. In Rotterdam wurden zudem sieben Folter-Container entdeckt. (BLICK berichtete). Dahinter steckt eine Drogenbande, die mit einem Unterwelt-Boss verfeindet war. Auch sie benutzte «EncroChat».

Tausende Festnahmen in Europa

In England wurden im Rahmen der «Operation Venetic» sogar 746 Verdächtige verhaftet. Dazu Drogen im Wert von umgerechnet über 90 Millionen Schweizer Franken, 77 Schusswaffen, 55 Luxusautos, 73 teure Uhren und umgerechnet knapp 65 Millionen Franken Bargeld sichergestellt.

In Frankreich ist im März die «Operation Emma 65» angelaufen, wie das europäische Polizeiamt Europol mitteilt. Tausende Kriminelle würden derzeit in Frankreich überwacht, mehr wolle man derzeit nicht sagen. Auch in Norwegen und Schweden wurden Verdächtige festgenommen, eine BLICK-Anfrage bei der Schweizer Bundespolizei Fedpol hat gezeigt, dass auch in der Schweiz Ermittlungen laufen. Konkret wurde das Fedpol allerdings nicht.

«Wir sind ihm auf den Fersen»

Klar scheint: All das scheint erst der Anfang zu sein. Nach wie vor gibt es Millionen Chatprotokolle, denen die Behörden nachgehen können und werden. «Wer ein EncroChat-Telefon nutzt, sollte sich Sorgen machen», so die Engländerin Nikki Holland: «Wir sind ihm auf den Fersen.»

Auch Johnny Swales dürfte die Entwicklungen mitbekommen haben. Er hat sich schuldig bekannt, seine Freundin erpresst zu haben und dürfte ins Gefängnis kommen.

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