Nach den ersten Regionalwahlen herrscht in Frankreich Entsetzen: Marine Le Pen (47) und ihr rechter Front National haben alle Parteien hinter sich gelassen und 28 Prozent der Stimmen geholt. Auch Le Pens Nichte Marion (25) punktete: In der Region Provence-Alpes-Côte d’Azur führte sie die FN-Liste an.
Die eher konservative Zeitung «Le Figaro» sowie das linke Blatt «L'Humanité» berichteten beide von einem «Schock». Dabei kommt der Wahlsieg der Rechten in Frankreich nicht wirklich überraschend. Er ist die konsekutive Fortsetzung des gegenwärtigen Siegeszuges rechter Parteien in ganz Europa – und in Teilen der restlichen Welt, etwa jüngst in Venezuela und Argentinien.
«Der Rechts-Virus infiziert unsere Nachbarn», fasst die heutige BILD-Zeitung die Geschehnisse vergangener Monate auf zahlreichen Polit-Bühnen Europas zusammen. Hatten schliesslich vor Frankreich auch in Österreich, Polen, Dänemark, Belgien, Tschechien, den Niederlanden und nicht zuletzt bei uns in der Schweiz rechtsgerichtete, populistische Parteien massiven Zulauf erhalten.
Schweiz: Die SVP ist bei den Wahlen im Herbst erneut als stärkste Partei hervorgegangen. Gegenüber der Vorwahlperiode legte sie um 2,8 Prozent zu. Die SVP macht sich unter anderem für Verschärfungen im Asylrecht stark.
Österreich: Die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) holt bei der Landtagswahl in Wien 30,7 Prozent und wird hinter der konservativen Österreicheichischen Volkspartei (ÖVP) Zweite. FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache hat bei der nächsten Wahl gute Chancen, Bundeskanzler zu werden. Der Wahlspruch seiner Partei: «Österreich den Österreichern.»
Niederlande: Geert Wilders von der Partei für Freiheit (PVV) bekam bei den Palamentswahlen 2012 über zehn Prozent der Stimmen. Er fordert einen fünfjährigen Einwanderungsstopp für Muslime.
Polen: Polens Ministerpräsidentin gehört der Partei Recht und Gerechtigkeit (PIS) an und gewann im Oktober die Parlamentswahlen mit 37,5 Prozent der Stimmen. Sie will keine Flüchtlinge aufnehmen.
Dänemark: Kristian Dahl von der Danske Folkepartei (DF), der die Wiedereinführung von Grenzkontrollen will, kam bei den Parlamentswahlen auf 21,1 Prozent der Stimmen. Fast doppelt so viel wie vor vier Jahren.
Belgien: Auch Belgien wählt rechts. Felip Dewinter von der Vlaams Belang (FB) holte bei den belgischen Parlamentswahlen 3,7 Prozent der Stimmen. Er fordert die Beschränkung der Zuwanderung.
Tschechien: Der tschechische Staatschef ist eigentlich Sozialdemokrat. Doch inhaltlich steht er rechts aussen. Er ist nicht nur gegen Homosexuelle, sondern auch gegen Ausländer.
Weltweit setzen die Rechtspopulisten dabei auf eine aggressive, fremdenfeindliche Agenda und machen sich die zunehmend xenophoben Tendenzen in der Bevölkerung zunutze. Ihr Programm ist dabei schnell erzählt: Für den Kapitalismus, gegen Ausländer und Flüchtlinge.
Einfache Antworten auf schwierige Fragen
Für schwierige, globale Fragen, etwa die andauernde Wirtschaftskrise oder die wachsende Terrorismus-Problematik, präsentieren sie ihren Wählern simple, binnenstaatliche Antworten à la Marine Le Pen: Austritt aus dem Euro bzw. Wiedereinführung der Todesstrafe.
Die Ansichten der FN-Chefin bewegen sich ohnehin am Rand des Legalen. Im Oktober musste sich die 47-Jährige wegen einer islamfeindlichen Aussage vor dem Gericht in Lyon verantworten. In einer Rede hatte Le Pen gesagt, auf offener Strasse betende Muslime würden «eine Besatzung von Teilen des Territoriums» Frankreichs darstellen.
Kommende Woche wird das Urteil erwartet. Es ist wahrscheinlich, dass die Parteichefin dann ihren nächsten Erfolg feiern kann – die Staatsanwaltschaft hatte bei der Verhandlung einen Freispruch gefordert.
Auch Marion Maréchal-Le Pen brachte sich bereits muslimfeindliche Aussagen in die Schlagzeilen. In einem Beitrag für das Magazin «Présent» schrieb die 25-Jährige, dass Muslime «nicht exakt denselben Rang» hätten wie Christen.
«Geschlossen gegen Nationalismus»
Mit derartigen Aussagen treffen charismatische Leader wie Marine Le Pen bei ihren Wählern voll ins Schwarze. Viele haben offenbar das Gefühl, dass ihre Interessen als Bürger vernachlässigt werden. Nirgends wird das so augenscheinlich wie bei der aktuellen Flüchtlingskrise, die andere politische Themen zunehmend in den Hintergrund gerückt hat. Rechtspopulisten scheinen vor allem dort Anklang zu finden, wo die soziale Ungleichheit am grössten ist.
Daher resümiert der deutsche Vize-Kanzler Sigmar Gabriel in der BILD: «Die Wahl in Frankreich muss ein Weckruf für alle Demokraten in Europa sein, sich geschlossen und entschlossen gegen Nationalismus, Fremdenhass und Radikalismus zusammenzuschliessen.» (gr/lha)