Italiens Patient 1 erzählt erstmals von seinem persönlichen Corona-Alptraum
«Ich fühlte mich wie im Vorzimmer des Todes»

Vor zwei Monaten kam Mattia Maestri (38) mit einer Lungenentzündung ins Spital. Der Unilever-Forscher war der erste Corona-Patient Europas. Während Tausende um ihn herum am Virus starben, kämpften Ärzte drei Wochen lang um sein Leben.
Publiziert: 21.04.2020 um 13:10 Uhr
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Aktualisiert: 04.02.2021 um 23:34 Uhr
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Verwaister Bahnhof von Codogno (I). Wochenlang war die lombardische Gemeinde von der Aussenwelt abgeschirmt.
Foto: AFP
Myrte Müller

Er ist nur noch ein Schatten seiner selbst. Abgemagert steht Mattia Maestri (38) auf der Schwelle seiner Wohnungstür in Codogno (I). Den Journalisten von «La Repubblica» will er nicht hineinbitten. Im Haus sind Ehefrau Valentina (36) und Töchterchen Giulia. Das Kind ist erst vor zwei Wochen geboren. In einer Zeit, in der für Mattia Maestri der Tod so nah war. Er sei noch schwach, müsse sich ab und zu hinlegen, sagt der Ernährungswissenschaftler in seinem ersten Interview nach dem Corona-Ausbruch.

Mattia Maestri ist Italiens Patient Nummer 1. Untypisch. Kein Greis mit Vorerkrankungen. Der Unilever-Mitarbeiter ist sportlich, fit, steht mitten im Leben – bis zum 17. Februar. «Ich bekam Fieber, was mir normalerweise nie passiert. Der Arzt stellte eine leichte Lungenentzündung fest, verschrieb mir Antibiotika», erzählt Mattia Maestri. Er sei nach Hause gegangen. Was niemand ahnt: Mattia hat das Coronavirus. Er steckt seine Ehefrau, seine Mutter und seinen Vater an. Verheerend, wie sich später herausstellt.

Schon im Januar starben viele an Corona

Das Fieber steigt. Zwei Tage später schleppt sich der Italiener zur Notaufnahme des Spitals in Codogno. Seine Lungen sind bereits mit Wasser gefüllt. Wie kommt ein junger Mann an eine solche Infektion? Diese Frage bringt einen Stein ins Rollen, der bald die ganze Welt erschüttert. Zum ersten Mal in Europa wird ein Corona-Test gemacht. Mattia ist positiv. Er ist Italiens Patient Nummer 1. Ab diesem Zeitpunkt wird getestet. Offiziell ist das Virus ausgebrochen. Gewütet aber hat es schon vorher.

«Die Ärzte haben mir erzählt, dass mindestens seit Januar die Zahl unheilbarer Lungenentzündungen explodiert sei, nicht nur in der Lombardei», sagt Mattia Maestri, «es hatte bereits zuvor ein Massensterben von älteren Menschen gegeben».

«Ich rutschte in eine Vorhölle»

Mattia Maestri wird ins künstliche Koma versetzt. Drei Wochen lang kämpfen die Ärzte um sein Leben. Sein Überleben steht symbolisch für das Überleben Italiens. Fieberhaft wird nach demjenigen gesucht, der Mattia ansteckte. Vergebens. Bis heute weiss man nicht, wie das Virus nach Codogno kam. Es folgen Tausende von Tests. Die Kurve steigt steil an. Auch die der Toten.

«Mit der Betäubung rutschte ich in eine Vorhölle», erinnert sich Patient 1, «meist war ich bewusstlos. Ich träumte auch, erinnere aber nicht was. Ich litt nicht, fühlte mich wie im Vorraum des Todes. Wenn Du stirbst, dann kannst Du nicht bewusst dagegen an kämpfen». Doch die nahende Geburt seiner Tochter habe ihm physische Kräfte gegeben, davon ist der frisch gebackene Vater heute überzeugt.

Vater durfte nicht bestattet werden

Als Mattia Maestri aus dem Koma geholt wird, tobt die Epidemie bereits in ganz Italien. Es ist der 19. März. In Italien der Vatertag. «Ich rief meinen Vater an, wollte ihm gratulieren», erzählt Mattia weiter, «meine Mutter hob ab. Sie weinte. Vater war an Corona gestorben. Eine Bestattung war unmöglich. Jetzt hat sie seine Asche Zuhause.»

Mattia Maestri besiegt das Virus. Bei der Geburt seines Kindes darf er für zwei Stunden dabei sein.«Diese zwei Stunden haben mein ganzes Leiden aufgehoben. Stellen Sie sich vor: Ich war gerade aus der Reanimation erwacht, Mailand und die Region um Lodi zählten Tausende von Toten und da ist dieses kleine Mädchen, das die Augen aufschlägt und fühlt, dass das Leben auch wunderschön ist.»

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Das Coronavirus beschäftigt aktuell die ganze Welt und täglich gibt es neue Entwicklungen. Alle aktuellen Informationen rund ums Thema gibt es im Coronavirus-Ticker.

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