Italien tobt bei EU-Streit um Flüchtlinge
«Nicht verdient, Europa genannt zu werden»

Nach einer hitzigen Debatte hat der EU-Gipfel die Verteilung von 40'000 Flüchtlingen von Italien und Griechenland auf andere EU-Staaten vereinbart. Dies erfolgt auf freiwilliger Basis - und nicht wie von der EU-Kommission und Italien gefordert auf Grundlage einer festen Quote.
Publiziert: 26.06.2015 um 07:41 Uhr
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Aktualisiert: 28.09.2018 um 21:39 Uhr
«Verschwendet nicht unsere Zeit»: Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi erbost über EU-Partner
Foto: KEYSTONE/EPA/JULIEN WARNAND

«Alle Staaten haben Zusagen gemacht», sagte EU-Gipfelchef Donald Tusk am Freitagmorgen in Brüssel. Ausnahmen seien nur Ungarn und auch Bulgarien. Tusk sagte: «Diese beiden Länder unterliegen schon einem grossen Migrationsdruck und werden deshalb als Sonderfälle behandelt.»

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel begrüsste den Beschluss als «eine gute Botschaft.» Sie fügte mit Blick auf die Differenzen aber auch hinzu: «Da wird also noch viel Arbeit sein.» Die Flüchtlingsfrage nannte sie eine der «grössten Herausforderungen, die ich in meiner Amtszeit bezüglich der Europäischen Union gesehen habe». Europa müsse zeigen, ob es dieser Aufgabe gewachsen sei.

Die EU-Staats- und Regierungschefs vereinbarten zudem, dass sich alle Staaten an der Umsiedlung von 20'000 anerkannten Flüchtlingen aus Lagern etwa rund um Syrien beteiligen.

«Das gibt 60'000 Menschen eine Lebensperspektive», fasste EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker die Gipfel-Ergebnisse zusammen und kritisierte dies zugleich als «bescheidene Ambition». «Wir müssen schauen, ob das System funktioniert», sagte er mit Blick auf die nun vereinbarte Freiwilligkeit.

Die Staats- und Regierungschefs stritten bei den stundenlangen Beratungen darüber, ob die Umverteilung der 40'000 Asylberechtigten - also Menschen aus Syrien und Eritrea - auf Basis freiwilliger Zusagen oder verpflichtender Verteilschlüssel erfolgen sollte. Frankreichs Staatspräsident François Hollande sagte über die Debatte: «Es gab Momente der Spannung.» Juncker sprach von «einer schwierigen Diskussion».

Italien hatte mehr verlangt. Premier Matteo Renzi begrüsste nach dem Gipfel die Zusagen nur als «ersten Schritt». Renzi hatte in der Gipfelrunde mit scharfen Worten eine verpflichtende Quote gefordert. Diplomaten zitierten den Italiener mit den Worten: «Wenn Ihr mit der Zahl von 40'000 nicht einverstanden seid, verdient Ihr es nicht, Europa genannt zu werden. (...) Wenn das Eure Vorstellung von Europa ist, dann könnt Ihr es lassen.» Er fuhr fort: «Entweder es gibt Solidarität - oder verschwendet nicht unsere Zeit.»

Insbesondere die osteuropäischen und baltischen Staaten, die bislang nur selten das Ziel von Migranten sind, beharrten auf dem Prinzip der Freiwilligkeit. Hintergrund ist, dass nach dem Dublin-Abkommen Flüchtlinge in dem EU-Land Asyl beantragen und dort bleiben müssen, wo sie erstmals europäischen Boden betreten haben.

Nach Angaben von Diplomaten kann die Verteilung frühestens im Spätsommer beginnen. «Die Innenminister werden das Verfahren bis Ende Juli abschliessend klären», sagte Tusk. Bis dahin sollen in Italien und Griechenland Aufnahmelager entstehen, wo Flüchtlinge registriert und identifiziert werden.

Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann unterstützte die Quote und sagte: «Ich bin für eine Quote, ich bin für eine Verpflichtung, ich bin für eine gemeinsame Asylpolitik.»

EU-Gipfelchef Tusk sagte: «Solidarität ohne Opferbereitschaft ist reine Heuchelei.» Allerdings müsse mehr gegen illegale Einwanderung getan werden. «Alle, die keine legitimen Asylbewerber sind, haben keine Garantie, dass sie in Europa bleiben können.»

In vielen Ländern gibt es weiter Widerstand gegen die Umverteilung. Ungarn lehnt dies grundsätzlich ab und beklagt seine eigene Überlastung. Der rechtsnationale Ministerpräsident Viktor Orban sagte in Brüssel: «Wir sind nicht herzlos, aber auch nicht hirnlos, man muss beides im Gleichgewicht halten.» Man dürfe «weder der Versuchung schöner Worte erliegen, noch dem Mitgefühl». (SDA)

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