Italien macht Jagd auf Bürgermeister
Verhaftet, weil er ein Herz für Flüchtlinge hat

Sein Dorf in Kalabrien wurde zum internationalen Vorzeige-Modell für Integration. Jetzt soll Domenico Lucano (60) in Riace (I) hinter Gitter.
Publiziert: 05.10.2018 um 15:15 Uhr
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Aktualisiert: 15.10.2018 um 11:16 Uhr
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Verhaftet: Der Flüchtlingsbürgermeister aus Kalabrien, Domenico «Mimmo» Lucano.
Foto: Keystone / CESARE ABBATE
Myrte Müller

Riace (I) ist weltberühmt für die Integration von Flüchtlingen. Der Gemeindepräsident des kalabrischen Dorfes lässt eine eigene Währung für die Migranten einführen. Er richtet für sie leerstehende Häuser her, gründet Kooperativen. Mittlerweile ist jeder vierte Bürger von Riace ein Migrant.

Domenico Lucano (60) stoppt die Abwanderung, kurbelt die Wirtschaft im 2343-Seelen-Ort an. Es wird Keramik produziert und gewoben, eine Bar, eine Bäckerei und die Grundschule wiederbelebt. Und: Domenico Lucano sorgt mit seinem Modell weltweit für Schlagzeilen.

Sogar der Papst unterstützt den Flüchtlingsbürgermeister

Das US-Magazin reiht den Lehrer 2016 in die Liste der 50 wichtigsten Männer der Welt ein. Der deutsche Star-Regisseur Wim Wenders dreht einen Film über Riace. Sogar Papst Franziskus zieht in einem Brief die Mitra vor dem Flüchtlingsbürgermeister. 

Offenbar zu viel des Guten für das rechtspopulistische Italien. Im Morgengrauen des Dienstags stürmt die Guardia di Finanza das Haus des Sindaco. Domenico «Mimmo» Lucano steht fortan unter Hausarrest. Seiner äthiopischen Lebensgefährtin entziehen die Behörden die Aufenthaltsbewilligung.

Die Vorwürfe: Förderung der illegalen Migration durch Scheinehen, Vergabe der Müllabfuhr an Kooperativen ohne öffentliche Ausschreibung. Sogar Teilnahme an einer kriminellen Vereinigung, schweren Betrug und Korruption will die Staatsanwaltschaft dem Paar anhängen. Doch der Untersuchungsrichter winkt ab und stellt bei den letzten Anklagepunkten grobe Ermittlungsfehler und Ungenauigkeiten fest.

Festnahme sorgt für Proteste

Innenminister und Vize-Premier Matteo Salvini twittert derweil mit Genugtuung: «Wer weiss, was nun all die Gutmenschen sagen, die Italien mit Flüchtlingen vollstopfen wollen.» Domenico Lucano reagiert geschockt: «Ich bin sprachlos», sagt er dem «Quotidiano del Sud», «sollen sie doch alles durchsuchen. Ich habe nichts zu verbergen.»

Die Festnahme sorgt für eine Welle der Empörung. Hunderte marschieren in Rom auf. In Neapel protestieren Flüchtlinge und Mitarbeiter der sozialen Dienste gegen Lega-Chef Matteo Salvini. Und in Riace ist für Samstag eine Demo geplant.

Es ist nicht die erste Attacke auf den Bürgermeister von Riace. Schon im vergangenen Jahr wird gegen Lucano ermittelt, der Bürgermeister seither abgehört. Vor zwei Monaten lässt Matteo Salvini schliesslich die Mittel streichen. Das mittlerweile 20 Jahre alte Flüchtlingsprojekt droht zu scheitern.

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