Wieder Patt-Situation in Israel – darf nun Herausforderer Gantz die Regierung bilden?
In Israel zeichnet sich schwierige Regierungsbildung ab

Nach der Parlamentswahl steuert Israel auf eine schwierige Regierungsbildung zu. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und sein Herausforderer Benny Gantz liegen laut Prognosen fast gleichauf.
Publiziert: 18.09.2019 um 03:30 Uhr
|
Aktualisiert: 18.09.2019 um 15:49 Uhr
1/7
Benjamin Netanjahu muss zittern.

Es ist bereits die zweite Parlamentswahl in Israel in diesem Jahr. Doch auch beim zweiten Anlauf gibt es keinen klaren Sieger. Der aktuelle Premierminister Benjamin Netanjahu (69) schafft es laut ersten Hochrechnungen nicht, mit seiner angestrebten Rechts-Koalition die notwendige Mehrheit zu erreichen.

Netanjahus Likud erreicht laut diesen Hochrechnungen 33 Mandate. Seine Herausforderer, Ex-Armeechef Benny Gantz (60) und Ex-Finanzminister Yair Lapid (55), erreichen mit ihrem Mitte-Bündnis Blau-Weiss 34 Mandate. Bei den Wahlen im April hatte der Likud noch 35 Sitze erreicht, das Blau-Weiss-Bündnis ebenfalls 35 Sitze. Die Wahlbeteiligung war diesmal höher als bei den Wahlen im April.

Kommt es doch noch zur grossen Koalition?

Für eine Regierungsmehrheit sind mindestens 61 von 120 Mandaten im Parlament notwendig. Rechnerisch möglich ist auch eine grosse Koalition von Likud und Blau-Weiss. Allerdings hatte Netanjahu im Wahlkampf betont, er strebe eine rechts-religiöse Koalition an.

Gantz ist dagegen nur zu einer grossen Koalition ohne Netanjahu als Regierungschef bereit. Als Grund nennt er die Korruptionsvorwürfe gegen den 69-Jährigen, der seit 2009 Ministerpräsident ist. Nach einer Anhörung im Oktober droht Netanjahu eine Anklage in drei Korruptionsfällen. Mit Unterstützung einer rechts-religiösen Koalition hätte er versuchen können, sich im Parlament Immunität vor Strafverfolgung zu sichern.

Ex-Verteidigungsminister Avigdor Lieberman, der mit seiner rechten Partei «Unser Haus Israel» auf acht Sitze kommt, rief umgehend zur Bildung einer grossen Koalition auf. Er forderte am Dienstagabend eine «nationale, liberale breite Regierung». Diese müsse aus seiner eigenen Partei, dem rechtskonservativen Likud von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und dem Mitte-Bündnis von Ex-Militärchef Benny Gantz bestehen. Eine breite Koalition sei notwendig, weil Israel sich in einem Notstand befinde, sagte er.

Neue Regierung frühestens Ende Oktober

Israels Präsident Reuven Rivlin muss nun entscheiden, wen er mit der Regierungsbildung beauftragt. Dazu holt er sich von allen Fraktionen Empfehlungen für das Amt des Ministerpräsidenten ein.

Wer danach die grössten Chancen für die Bildung einer Regierungskoalition hat, erhält dafür zunächst vier Wochen Zeit. Üblicherweise erhält den Auftrag der Vorsitzende der Fraktion mit den meisten Stimmen. Mit einer neuen Regierung wird frühestens Ende Oktober gerechnet.

Wird nun Gantz mit der Regierungsbildung beauftragt?

Netanjahu hatte bei der Stimmabgabe in Jerusalem vor einem knappen Ausgang für seine Likud-Partei gewarnt. Er schrieb bei Twitter von einer hohen Wahlbeteiligung in den «Hochburgen der Linken». Likud-Anhänger müssten sofort wählen gehen, «oder wir bekommen eine linke Regierung mit den arabischen Parteien». Auch bei vergangenen Wahlen hatte Netanjahu mit anti-arabischer Stimmungsmache seine Wählerschaft mobilisiert.

Sein Herausforderer Gantz sagte in einem Wahllokal bei Tel Aviv: «Heute stimmen wir für eine Veränderung. Wir werden Hoffnung bringen, alle gemeinsam, ohne Korruption und ohne Extremismus.» Gantz, der in gesellschaftlichen Fragen liberaler als Netanjahu ist, nicht aber in der Sicherheitspolitik, strebt nach eigenen Angaben eine Regierung der Einheit an, die von einer Mehrzahl der Israelis unterstützt wird.

Beobachter sehen daher die Möglichkeit, dass Staatspräsident Reuven Rivlin bei einem Patt diesmal nicht wieder Netanjahu, sondern Gantz mit der Regierungsbildung beauftragen könnte.

Präsident Rivlin will eine dritte Wahl verhindern

Das palästinensische Aussenministerium schrieb in einer Mitteilung: «Die israelischen Wahlen sind eine interne israelische Angelegenheit, die aber trotzdem ihren Schatten auf die Chancen zur Lösung des Konfliktes und der Zukunft der Beziehung zwischen dem palästinensischen und dem israelischen Volk werfen.» Es verwies dabei auch auf den in Kürze erwarteten US-Friedensplan, den die Palästinenser allerdings schon im Vorfeld ablehnen.

Unabhängig vom Wahlausgang in Israel gilt eine Wiederbelebung des Friedensprozesses in absehbarer Zukunft als unwahrscheinlich. Die linken Parteien, die sich für die Gründung eines Palästinenserstaates neben Israel aussprechen, haben keine Mehrheit.

Rund 6,4 Millionen Wahlberechtigte waren aufgerufen, die 120 Mitglieder der 22. Knesset in Jerusalem zu bestimmen. Erste Ergebnisse werden möglicherweise erst am Mittwochmorgen vorliegen. Das endgültige Ergebnis kommt etwa eine Woche nach der Wahl.

Präsident Rivlin sagte am Tag der Wahl: «Ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, um eine weitere Wahl zu verhindern.» (SDA/nim)

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?