BLICK: Herr Präsident Johannesson, Island hat keine Armee. Wie schützen Sie sich am Montag vor einer französischen Invasion?
Gudni Johannesson: Unsere Beziehungen zu Frankreich sind hervorragend, sie werden gut bleiben, auch wenn wir sie am Sonntag in Paris schlagen.
Was passiert, wenn Island tatsächlich gewinnt?
Unser Sieg gegen England war eine der grössten Überraschungen in der Geschichte des Fussballs. Schlagen wir Frankreich in Paris, ist es einfach eine noch grössere Überraschung.
Ihre Prognose?
Das französische Team ist stärker. Es hat weit mehr Erfahrung als wir. Aber wir fürchten niemanden, wir haben keinen Druck. Wir können gewinnen.
Woher rührt der unbändige isländische Siegeswille?
Es ist gefährlich, Parallelen zu ziehen zwischen der Mentalität eines Landes und dem Verhalten auf dem Sportplatz. Vor zehn Jahren haben wir noch 0:3 gegen Liechtenstein verloren.
Und warum gewinnt das Team jetzt gegen England?
Unsere Coaches sind gut, wir fördern junge Spieler, und wir haben im ganzen Land Fussballhallen gebaut. Darin können wir auch im Winter spielen.
Wie weit kommt das Team?
Gegen Portugal spielten wir unentschieden, England schlugen wir. Gewinnen wir gegen Frankreich, werden wir Europameister. Aber egal, was passiert – unsere Jungs kommen als Helden nach Hause.
Mit wem schauen Sie sich das Spiel in Paris an?
Mit meiner Frau. Am Sonntag ist unsere Hochzeitstag. Folgerichtig verbringe ich diesen Tag in Paris. Zufällig findet dort noch ein Fussballspiel statt.
Das ist romantisch. Ohne Spiel gingen Sie mit Ihrer Frau auch nach Paris?
Kein Kommentar.
Werden Sie im Stadion den «Hu!» mitklatschen?
Natürlich, allerdings gibt es ein Problem. Ich wollte in der Fan-Zone sein, wie bereits in Nizza gegen England. Aber die französischen Behörden lassen es aus Sicherheitsgründen nicht zu, das ist sehr schade. Es ist etwas ganz anderes, ein Spiel als Fan oder als VIP zu erleben. Ich bin lieber Fan.
Sie sind während der EM gewählt worden. Das Land interessierte sich kaum für Politik. Sind Sie ein Zufallspräsident?
Der Wahlkampf fing vor der Euro an. Der Erfolg des Teams brachte sogar mehr Menschen an die Urne, da sich plötzlich alle für Island interessieren. Alle sind optimistisch und glücklich.
Wäre Islands Coach Lars Lagerbäck ein Isländer, hätten Sie keine Chance gehabt!
Gut möglich, immerhin hat er 30 Stimmen erhalten.
Was macht der Erfolg mit Island?
Er kreiert eine «we can do it»-Stimmung. Das ganze Land rückt zusammen. Aber Vorsicht: Wir müssen den Streit und die Debatte belassen. Beides ist wichtig in einer freien Gesellschaft. Wer anderer Meinung ist als ich, ist kein schlechter Isländer.
Erfolg verdirbt zuweilen den Charakter. Besteht in Island diese Gefahr?
Island fürchtet niemanden, aber wir respektieren den Gegner. Vermutlich spielten wir deshalb so stark gegen gute Teams, weil sie uns nicht respektierten. Nun müssen wir aufpassen, nicht überheblich zu werden. Das gilt für alle Bereiche der Gesellschaft.
Sie ersetzen einen Präsidenten, der 20 Jahre im Amt war – etwas lange für ein demokratisches Land?
Er ist alle vier Jahre wiedergewählt worden. Unser Präsident hat die Aufgabe, das Land zusammenzuhalten. Deshalb ist es in Island ungewöhnlich, gegen einen amtierenden Präsidenten anzutreten. Er wird ein bisschen wie ein König gesehen.
Sie sind der neue König – bleiben Sie auch 20 Jahre?
Nein, höchstens zwölf, das habe ich immer gesagt.
Der Premierminister Islands musste zurücktreten, weil er Geld in Panama versteckte.
Das hat mir geholfen, Präsident zu werden. Die Isländer waren schockiert und enttäuscht über dieses Verhalten. Und ich habe mich klar dagegen ausgesprochen. Ich bin Historiker, komme nicht direkt aus der Politik. Die Isländer wollten eine unabhängige Person an der Spitze.
Gierige isländische Banker trieben das Land 2008 fast in den Bankrott …
… Banker, Geschäftsleute und die politische Elite haben damals versagt. Wir Isländer glauben, alles zu können. Das ist eine Stärke, aber auch eine Schwäche. In den Nullerjahren dachten wir, Island müsse ein globales Finanzzentrum werden. Alles ging viel zu schnell. Unsere Arroganz führte zu diesem spektakulären Kollaps.
Island ist klein, gedeiht da die Korruption?
Ich würde eher von einer Art Beziehungskorruption sprechen. Alle kennen einander, diese Nähe ist gefährlich. Wie soll man einem Banker sagen, er habe sich schlecht verhalten, wenn man mit ihm zur Schule ging? Wenn es dein Cousin ist?
Wie gesund ist Island heute?
Alle haben Arbeit. Im Vergleich zu anderen Ländern in Europa geht es uns sehr gut.
Island ist wie die Schweiz nicht in der EU. Möchten Sie das ändern?
Als Präsident stehe ich über der Politik. Aber es gibt derzeit keine Anzeichen für eine Änderung. 2009, nach der Krise, stellte die Regierung einen Beitritts-Antrag. Sie wurde abgewählt.
Was spricht gegen einen EU-Beitritt?
Wir möchten die Souveränität nicht verlieren, zudem wäre unsere Fischerei gefährdet. Aber uns sind gute Beziehungen zur EU wichtig.
Was möchten Sie?
Eine intellektuelle Debatte über die Vorteile und Nachteile der EU. Das Volk soll darüber entscheiden, ob wir einen neuen Antrag stellen.
Wissen Sie, welches das wertvollste Gut in Ihrem Land ist?
Nein.
Es sind die Trikots des Nationalteams. Sie sind überall ausverkauft. Haben Sie eines?
Ja, ich habe eines.
Wie haben Sie es erhalten?
Ehrlich gesagt, da halfen mir meine Beziehungen. Ich habe das Shirt gratis bekommen, von einer Person, die ich zwar nicht kenne, es mir aber gab, weil ich als Präsident kandidierte.
Können Sie denn Fussball spielen?
Mein Sport ist Handball. Ich spielte in der Mitte – und war das Hirn des Teams.