Die Aufständischen hatten am Montagmorgen die Offensive zur Eroberung von Kundus begonnen. Ein Taliban-Kommandant namens Mullah Usman sagte, mehr als 1000 Taliban nähmen an der Operation teil.
«Die Stadt ist unglücklicherweise an die Taliban gefallen», sagte Sedik Sedikki, Sprecher des afghanischen Innenministeriums.
In den eroberten Stadtteilen machten Taliban-Kämpfer Jagd auf Sicherheitskräfte. Ein Regierungsmitarbeiter in Kundus, der anonym bleiben wollte, sagte: «Taliban-Kämpfer mit ihren Waffen sind überall in der Stadt.»
Die Taliban hatten Zivilisten dazu aufgerufen, bis zum Ende der Kämpfe in ihren Häusern zu bleiben. Angaben zu Opfern lagen zunächst nicht vor. Die Kämpfe dauerten am Abend an; über deren Verlauf gab es teils widersprüchliche Angaben.
Die Angreifer nahmen die Stadt seit dem Morgen aus drei Richtungen in die Zange. Sie drangen am Nachmittag in das grösste Gefängnis ein und befreiten nach Angaben aus Sicherheitskreisen etwa 500 Gefangene, darunter auch Taliban-Kämpfer.
Auch das Spital mit einer Kapazität von 200 Betten wurde nach Angaben seines Leiters, Saad Muchtar, von den Taliban eingenommen. Die religiösen Fundamentalisten hissten nach Angaben eines Regierungsvertreters in der Hauptstrasse von Kundus die Flagge des Islamischen Emirats von Afghanistan, ebenso auf diversen Regierungsgebäuden.
Die Provinzregierung bestätigte zudem, dass der schwer gesicherte Sitz der Provinzregierung in die Hände der Angreifer gefallen sei. Das Hauptgebäude der Polizei war schwer umkämpft und nach Taliban-Angaben ebenfalls an die Angreifer gefallen.
Die Taliban teilten über den Kurzmitteilungsdienst Twitter, mit der Eroberung des Polizeigebäudes und des Regierungssitzes sei die gesamte Provinz in ihren Händen. Ihre Kämpfer rückten nun auf den Flughafen der Stadt vor.
Der einige Kilometer ausserhalb der Stadt gelegene Flughafen dürfte die letzte Bastion gegen die vordringenden Taliban sein. Dort unterhalten die afghanischen Sicherheitskräfte Stützpunkte. Auch wurde Vizegouverneur Abdullah Daneschi hierhin gebracht; der Gouverneur hielt sich zum Zeitpunkt des Angriffs im Ausland auf.
«Wir haben Verstärkungen aus anderen Gebieten im Anmarsch und werden die Taliban zurückschlagen», sagte Daneschi am Telefon. Ein Polizeikommandant in der Nachbarprovinz Balch erklärte, Sondereinheiten von Polizei und Militär seien auf dem Weg nach Kundus.
Nach Darstellung eines Regierungsvertreters landeten auf dem Flughafen mittlerweile Spezialeinsatzkräfte, die eine Gegenoffensive vorbereiteten. Provinzregierung und Sicherheitskräfte gaben sich überzeugt, dass es gelingen werde, die Taliban-Kämpfer zurückzuschlagen.
Der Angriff vom Montag war der dritte Versuch der Taliban in diesem Jahr, die Kontrolle über Kundus zu erlangen. Bei einem Fall wäre es die erste Provinzhauptstadt, die seit dem Sturz des Taliban-Regimes Ende 2001 von den Aufständischen erobert wird.
Die NATO hatte ihren Kampfeinsatz in Afghanistan im vergangenen Jahr beendet. In der Nähe des Flughafens von Kundus unterhielt die deutsche Bundeswehr bis vor ihrem Abzug vor knapp zwei Jahren ein Feldlager.
Der NATO-Nachfolgeeinsatz «Resolute Support» dient vor allem der Ausbildung afghanischer Sicherheitskräfte. US-Truppen fliegen allerdings weiterhin Luftangriffe gegen die Taliban. Bis Ende 2016 sollen alle ausländischen Soldaten vom Hindukusch abgezogen worden sein. (SDA)