Tatsächlich ist seine Selbstbezeichnung Islamischer Staat überheblich, aber nicht so falsch. Anders als Al Kaida von Osama bin Laden hat der IS ein Gebiet erobert – und er regiert es auch. Er bildet eine Art Staat.
Als der IS mit dem Blitzkrieg durch den Nahen Osten begann, wuchs dieses Gebiet rasend schnell, weshalb man das Kürzel ISIS (Islamischer Staat in Irak und Syrien) bald zu IS verkürzte. Dessen kühne Machtträume reichten ohnehin von Marokko bis Iran, vom Vatikanstaat bis nach Somalia.
So weit ist es nicht gekommen. Im Gegenteil: Die Terrormiliz steckt heute in Grabenkämpfen fest. Die Weltherrschafts-Träume sind Wahnvorstellung geblieben. An der IS-Westgrenze, in Syrien, leisten die Kurden Widerstand, unterstützt durch Bomben der USA, Russlands, Frankreichs. Im Osten wehren sich Iraks Schiiten. Der sunnitische IS droht ihnen mit Vernichtung – und treibt Zehntausende Schiiten als Freiwillige in die ungeliebte irakische Armee.
Und doch bleibt der IS rätselhaft. Vor allem die Schätzungen über seine Stärke klaffen weit auseinander. So gingen US-Geheimdienstkreise 2014 von bloss 9000 bis 18'000 Kämpfern aus, was von der CIA auf bis 31 500 nach oben korrigiert wurde. Syrische Menschenrechtler glauben, der IS verfüge über 50'000 Kämpfer. Die Iraker schätzen die IS-Mannstärke bereits auf 100'000, die Kurden gar auf 200'000.
Relevanter sind die höheren Zahlen, weil sie Hilfspersonal miteinbeziehen: Logistiker, Polizei, Lokalmiliz, Geheimdienst, Zwangseingezogene, Rekruten. Der IS kontrolliert von Bagdad bis Aleppo immer noch ein Gebiet mit fast sieben Millionen Einwohnern. Zahlen von kaum 30'000 Kämpfern, wie sie die USA verbreiten, sind da Wunschdenken.
Gefährlich ist es auch zu glauben, es reiche, die internationalen Geldquellen des IS auszutrocknen. Der Aufstieg des Terrorstaats wurde aus unterschiedlichen Gründen grosszügig finanziert. Die sunnitischen Golfstaaten, etwa Saudi-Arabien oder Katar, gaben Geld aus ideologischer Verblendung – bis der IS klarmachte, dass er auch die korrupten Öl-Fürstenhäuser wegfegen würde. Die USA unterstützten den Ur-IS, weil sie jeden förderten, der gegen den syrischen Diktator Bashar al-Assad kämpfte.
Amerikaner und Scheichs haben den grotesken Fehler eingesehen. Doch nun hat der IS eigenes Geld: Er bringt Erdöl aus irakischen Quellen über mafiöse Kanäle auf den Weltmarkt. Das ist der Gegner, mit dem es der Westen zu tun hat: ein kleines Reich mit einer grossen Vision, geschrieben in Blut.
Der Krieg gegen den IS ist noch lange nicht zu Ende.