BLICK: Frau Keller-Messahli, Sie stammen aus Tunesien. Jetzt wurden in Ihrer Heimat wieder Menschen, vor allem Touristen erschossen – nur drei Monate nach einem ähnlichen Anschlag in Tunis. Was ist los in Tunesien?
Saïda Keller-Messahli*: Algerien warnt Tunesien schon länger vor weiteren Anschlägen. Der Geheimdienst sprach von möglichen Attentaten während des Monats Ramadan, also jetzt im Juni und Juli. Zudem kündigte ein IS-Anhänger vor vier Tagen via Twitter einen Anschlag in Tunesien an. Leider bewahrheiteten sich diese Warnungen alle.
Hat Tunesien sie ignoriert?
Das glaube ich nicht. Aber der tunesische Sicherheitsapparat ist von Islamisten unterwandert. Die islamistische Partei Ennahdha, vergleichbar mit Ägyptens Muslimbrüdern, positionierte 2011 bis 2014, als sie an der Macht war, ihre Leute an den wichtigen Stellen.
Wo denn konkret?
Im Innenministerium, in der Polizei, in der Armee, im Geheimdienst. Man spricht schon lange von einem parallel existierenden Sicherheitsapparat. Gab es beispielsweise Verbrechen von Salafisten, also ultrakonservativen Muslimen, dann wurden diese Täter zwar verhaftet – aber gleich am nächsten Tag wieder freigelassen.
Wem galt nun dieser Anschlag? Den Ländern, aus denen die Touristen stammten?
Die Attentäter wollten dem Tourismus als wesentlichem Wirtschaftszweig des Landes schaden. Daher haben sie bewusst einen beliebten Badeort gewählt. Ausserdem haben sie vor allem auf Touristen geschossen, was ihre islamistische Gesinnung verrät. Aber es ist gut möglich, dass der Anschlag auch direkt der aktuell regierenden laizistischen Partei galt.
Woraus schliessen Sie das?
Die Eigentümerin der Hotelanlage ist Parlamentarierin der regierenden Partei Nida Tunes. Und die gilt als liberal und wurde von vielen Frauen gewählt.
Was kann Tunesien nun tun?
Es gilt zuerst den Schock zu verarbeiten und dann die politischen Konsequenzen zu ziehen. Das Parlament traf sich ja sofort zu einer ausserordentlichen Sitzung. Es gilt sicher auch herauszufinden, wer die Täter sind und in wessen Auftrag sie gehandelt haben.
Bleibt Tunesien unsicher?
In Libyen tobt der Krieg, und die libysche Grenze zu Tunesien ist nicht dicht. Zudem floriert im Süden Tunesiens der Waffen- und Drogenschmuggel. Täglich flüchten viele Menschen aus Libyen nach Tunesien, darunter leider auch Terroristen. Solange das alles so ist, wird Tunesiens Sicherheitslage labil bleiben.