Der Iranische Präsident Hassan Ruhani hatte sich am Sonntag erstmals zu den seit Donnerstag anhaltenden Demonstrationen im Iran geäussert und war auf die Kritiker zugegangen. Am Neujahrstag war ein Krisentreffen im Parlament geplant, an dem Medienangaben zufolge auch Ruhani teilnehmen sollte.
Vor der Meldung über die zehn Toten hatte ein iranischer Abgeordneter zunächst von zwei weiteren Toten gesprochen. Sie seien in der Nacht zum Montag in der Stadt Iseh im Südwestiran getötet worden, sagte Hodschatollah Chademi der Nachrichtenagentur Ilna, die den reformorientierten Kräften nahe steht.
Der Abgeordnete fügte hinzu, er wisse nicht, ob Polizisten oder Demonstranten die Schüsse abfeuerten. Nach Angaben von Chademi gab es auch Verletzte und Festnahmen.
Bei einigen der Festgenommenen seien auch Waffen, Munition und Sprengstoff entdeckt worden, sagte der Abgeordnete am Montag. Nach unbestätigten Berichten in sozialen Netzwerken soll Iseh kurzfristig sogar von Regimegegnern besetzt gewesen sein.
Schon am Samstag wurden zwei Demonstranten in Dorud in Westiran getötet. Angeblich soll es in Dorud am Sonntagabend zwei weitere Tote gegeben haben. Berichte und Videos in den sozialen Netzwerken können jedoch unabhängig nicht verifiziert werden.
Seit Donnerstag ist es in mehreren Städten im Iran zu heftigen Protesten gekommen. Die Kundgebungen richteten sich zunächst gegen die Wirtschafts- und Aussenpolitik der Regierung, wurden aber zunehmend systemkritisch. Am Samstag griffen die Proteste, die zuvor in mindestens neun iranischen Städten stattgefunden hatten, auch auf die Hauptstadt Teheran über.
Am Sonntagabend bezeichnete Präsident Ruhani Proteste als legitimes Recht, warnte aber zugleich vor Ausschreitungen, die die Sicherheit des Landes gefährden könnten. Wie zuvor sein Innenminister rief auch Ruhani die Regimekritiker dazu auf, Proteste über legale Kanäle zu beantragen. Dann würde es nach seinen Worten auch nicht zu gewalttätigen Ausschreitungen und Polizeieinsätzen kommen.
Ruhani kritisierte auch die Hardliner, denen die Regierung eine Mitschuld an den Protesten gibt. Im Iran kämpfen Reformer und Hardliner seit langem um die Führung des Landes.
Die Proteste gingen nach Angaben iranischer Medien und Berichten in sozialen Netzwerke trotz des Ruhani-Appells weiter. Auch in der Nacht zum Montag protestierten in Teheran und weiteren Städten wieder Tausende gegen das islamische Regime. Nach Augenzeugenberichten griff die Polizei in verschiedenen Teilen Teherans mit Wasserwerfern und Tränengas ein, um die Proteste aufzulösen.
Ruhanis Vorschlag, Demonstrationen zu beantragen, wurden in den sozialen Netzwerken als Rhetorik zurückgewiesen. Das Innenministerium würde nach Meinung vieler Iraner niemals Anträge auf Protestversammlungen genehmigen, die nur ansatzweise Kritik am Establishment üben würden.
In der Tat erlaubt das Innenministerium nur vom System genehmigte Proteste, die sich dann meistens gegen die politischen Erzfeinde USA oder Israel richten.
Am Montagmorgen funktionierte das Internet im Iran zunächst wieder normal. Da die iranischen Medien über die Proteste selbst kaum berichten, werden viele Berichte und Videos über soziale Netzwerke und unseriöse Nachrichtenportale verbreitet.
Eine neutrale Verifizierung der Ereignisse ist daher fast unmöglich. Berichten in diesen Netzwerken zufolge wurden landesweit zwischen 100 und 800 Demonstranten festgenommen.
Ruhani äusserte sich in seiner Rede auch kritisch zu den Tweets von US-Präsident Donald Trump über die Demonstrationen. Jemand, «der von Kopf bis Fuss» gegen den Iran sei, sollte nun nicht den Besorgten vorheucheln, sagte Ruhani.
Trump twitterte am Sonntagmorgen (Ortszeit), die Menschen im Iran hätten endlich begriffen, «wie ihr Geld und ihr Wohlstand zugunsten von Terrorismus gestohlen und vergeudet wird. Wie es aussieht, werden sie es nicht länger hinnehmen». In einer Stellungnahme betonte die US-Regierung in der Silvesternacht das Recht des iranischen Volkes auf friedliche Meinungsäusserung.
Die regierungskritischen Proteste sind die grössten seit der gewaltsam unterdrückten Bewegung gegen die Wiederwahl des damaligen ultrakonservativen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad im Jahr 2009.(SDA)