«Haben uns bewaffnet und kämpfen jetzt seit drei Tagen»
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Walter Sameli aus dem Thurgau:«Haben uns bewaffnet und kämpfen jetzt seit drei Tagen»

In Teilen Südafrikas regiert das Chaos, Schweizerinnen vor Ort bangen um Hab und Gut
«Kein Essen, keine Medikamente, alles geplündert»

Südafrika erlebt eine Gewaltwelle. Auslandschweizerinnen und -schweizer berichten von Bränden, Plünderungen – und fürchten um ihr Leben.
Publiziert: 14.07.2021 um 17:53 Uhr
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Aktualisiert: 15.07.2021 um 07:12 Uhr
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Irene Oberholzer: «Das Dorf nebenan ist niedergebrannt.»
Foto: zVg
Fabienne Kinzelmann

Normalerweise sieht Irene Oberholzer (70) von ihrem Fenster aus das Meer. Am Dienstag aber sah sie nur ein Feuer. «Auf der rechten Seite kamen grosse Flammen hoch, alles war dunkel», erzählt die ehemalige Credit-Suisse-Mitarbeiterin, die mit ihrem Mann Peter (80), einem ehemaligen Maschinenbauingenieur, im südafrikanischen Küstenort Amanzimtoti nahe der Hafenstadt Durban lebt. Noch am Mittwochmorgen sah sie die Rauchwolken. «Die Community hat zum Glück die Strassen verbarrikadiert. Aber das Dorf nebenan ist niedergebrannt, weil sie die Shoppingcenter angezündet hatten.»

Seit Tagen brandschatzen und plündern wütende Mobs in Teilen Südafrikas. Mindestens 72 Menschen sind bei den Ausschreitungen bereits gestorben. In Teilen Südafrikas formiert sich ziviler Widerstand.

«Es ging nicht mehr ohne scharfe Munition»

«Seit drei Tagen sind wir am Kämpfen», sagt Walter Sameli (54) zu Blick. Der Thurgauer Zimmermann lebt mit seiner Frau Sharon (53) in Port Edward auf einer Farm. «Es hiess immer, die Armee kommt – aber sie kam nicht. Also haben wir selbst zu den Waffen gegriffen und versucht, die Plünderer zu vertreiben.» Erst mit Gummigeschossen, dann auch mit scharfer Munition. «Es ging einfach nicht mehr anders.»

Begonnen haben die Unruhen als Protest gegen die Inhaftierung von Ex-Präsident Jacob Zuma (79). Er war vergangene Woche wegen Missachtung der Justiz zu einer Haftstrafe von 15 Monaten verurteilt worden, die er am späten Donnerstag antrat. Doch der Pro-Zuma-Protest ist in Gewalt umgeschlagen und breitet sich vom Norden immer weiter in den Süden aus.

Zwei Nächte lang fürchteten sie um ihr Leben

Besonders am Dienstag sei es eskaliert, berichtet Sameli. Noch immer kann er nicht begreifen, was passiert ist. Zu «Hunderten und Tausenden» seien Plünderer eingefallen. «Es sind eigentlich junge Leute. Aber gestern kamen auch viele mit Kindern und Frauen im Auto», berichtet Sameli. «Wir wollten verhindern, dass sie auch noch unsere Häuser anzünden. Wir haben die Strasse blockiert.»

Doch das habe nicht gereicht. «Es gibt kein Essen mehr, keine Medikamente, es ist alles geplündert.» Sameli gibt sich kämpferisch. «Meiner Frau und mir geht es gut. Es ist immer noch ein schönes Land, wir wollen nicht aufgeben.»

Sharon Sameli unterbricht ihren Mann. Die gebürtige Südafrikanerin hat noch immer Angst. «Wir haben zwei Nächte lang um unser Leben gefürchtet und gar nicht mehr geschlafen!»

«Wenn ich wegkönnte, würde ich sofort gehen!»

Die Samelis haben drei Hunde, die sie beschützen – und Hühner und Obstbäume, um über die Runden zu kommen. Doch Walter Sameli sorgt sich um andere Mitglieder der Community: «Die Alten können nicht mehr einkaufen und bekommen keine Medikamente mehr.»

Das ist auch die grösste Sorge von Irene Oberholzer weiter oben an der Küste, deren Mann auf Herzmedikamente angewiesen ist. «Unsere Tochter Claudia in der Schweiz schreibt mir alle fünf Minuten. Ich bin sehr unruhig. Wenn ich wegkönnte, würde ich sofort gehen!»

Doch die Strassen in der Region sind weitläufig dicht, der nächste Flughafen 60 Kilometer entfernt. Und in Johannesburg, von wo aus Flüge ins geliebte Zürich gehen, breitet sich auch noch die Delta-Variante aus – «da darf man grad gar nicht rein».


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