Es wird eng über Syrien. Die Kriegsparteien benutzen den Luftraum immer häufiger für ihre Angriffe. Die USA bombardieren mit Verbündeten die Terrorbande, die sich Islamischer Staat (IS) nennt. Die Franzosen griffen die IS-Hochburg Rakka an. Die Türkei beschiesst im Grenzgebiet zu Syrien Stellungen der kurdischen Arbeiterpartei PKK, und die Russen fliegen seit Ende September viele Angriffe gegen den IS und syrische Rebellen.
Im dichten Flugverkehr zwischen Freund und Feind zu unterscheiden, wird in diesem verworrenen Konflikt zunehmend schwieriger – wie auch die Koordination der Kriegsparteien. Wohin das führen kann, zeigte der Abschuss eines russischen SU-24-Bombers (siehe Bild) durch türkische F-16-Jets am Dienstag auf dramatische Weise.
Seit 63 Jahren ist dies der erste Abschuss eines russischen Kampffliegers durch ein Nato-Flugzeug. Während bloss 17 Sekunden war der Jet in den türkischen Luftraum eingedrungen. Offenbar nach mehreren Warnungen schossen ihn die Türken über syrischem Hoheitsgebiet ab. Einer der russischen Piloten wurde von Rebellen getötet, nachdem er mit dem Fallschirm hatte abspringen können.
Gestern wurde bekannt, dass eine syrisch-russische Sondereinheit den zweiten verwundeten Piloten rettete. Im russischen Fernsehen bestritt er, je in den türkischen Luftraum eingedrungen zu sein. Auch Warnungen von der Türkei habe es keine gegeben. Ein gestern vom türkischen Militär veröffentlichter Mitschnitt der Warnungen soll aber das Gegenteil belegen. Obwohl derzeit noch vieles unklar ist, beschuldigen sich Russland und die Türkei mit scharfen Worten gegenseitig.
Eine vertrackte Situation. Und sie dürfte noch komplizierter werden. Russland will als Reaktion auf den Abschuss hochmoderne Flugabwehrraketen vom Typ S-400 an den syrischen Luftwaffenstützpunkt in Latakia verlegen. Russische Piloten fliegen zudem künftig Bomber-Einsätze nur noch unter Begleitschutz von Kampfjets. Und der Lenkwaffenkreuzer «Moskwa» soll vor der Mittelmeerküste Syriens feindlich wirkende Flugzeuge abschiessen (siehe Bild).
Besonders gefährlich: Russland bricht seine militärischen Kontakte zur Türkei ab. Angriffe könnten ohne Vorwarnung geschehen, sollten sich russische Streitkräfte bedroht fühlen.
Warum aber streiten sich Russland und die Türkei um diesen Abschnitt am östlichen Mittelmeer? In den letzten Jahren zelebrierten die beiden Staaten zwar eine immer engere Partnerschaft. Trotz der übergeordneten Gemeinsamkeiten sind ihre Interessen im Norden Syriens völlig unterschiedlich: Die Türken wollen den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad (50) loswerden, der russische Präsident Wladimir Putin (63)setzt auf ihn. Für die Türken sind nicht die IS-Terroristen das Hauptproblem, sondern die Kurden im syrischen Grenzgebiet. Russland wiederum bekämpft den IS, gleichzeitig aber auch alle anderen Gegner Assads.
Darunter die mit den Türken verbündeten turkmenischen Rebellen in Nordsyrien. Gemeinsam mit der freien syrischen Armee sowie anderen Oppositionellen kämpfen sie gegen Assad. Die Türkei sieht sich als Schutzmacht für gegen 200 000 syrische Turkmenen, deren Lage sich durch die russischen Angriffe jüngst verschlechtert hat. Offenbar wollte die Türkei dem nicht länger zusehen.