Frauen in Miniröcken, Fackelfeuer, Autokorsos: So fröhlich feierte Istanbul in der Nacht auf Montag den Wahlsieg von Ekrem Imamoglu (49). Der Oppositionskandidat ist der neue Bürgermeister der Metropole.
Das musste selbst Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan zugeben. Zähneknirschend gratulierte er dem Wahlgewinner auf Twitter: «Der nationale Wille hat sich heute einmal mehr gezeigt. Ich gratuliere Ekrem Imamoglu, der inoffiziellen Ergebnissen zufolge die Wahl gewonnen hat.»
Erdogan hat gespielt – und sich verzockt
Imamoglus Sieg ist eine herbe Niederlage für Erdogan und seine Regierungspartei AKP. Bereits im April hatte der Oppositionspolitiker gegen den ehemaligen Ministerpräsidenten und AKP-Kandidaten Binali Yildirimdie die Nase vorn gehabt. Doch Erdogan akzeptierte das Ergebnis nicht.
Die Neuwahlen am Sonntag wurden zum Eigengoal für den Präsidenten. Imamoglu, Kandidat der Republikanischen Volkspartei CHP, gewann Wahl sogar noch höher als erwartet: Nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu und Auszählung fast aller Stimmen kam er am Sonntag auf rund 54 Prozent, sein Gegner Yildirim nur auf rund 45 Prozent. Heute Montag sollen die Endergebnisse feststehen.
Sein Gegner umarmt Erdogan
Imamoglu strahlte, als er am Sonntag vor Hunderttausenden Unterstützern in Istanbul auftrat. Er hatte im Wahlkampf mit seiner vermittelnden Art und dem Slogan «Alles wird sehr gut» gepunktet und ein Zeichen gegen die Polarisierung im Land gesetzt. Seine Strategie: alle umarmen.
Selbst auf Erdogan ging der frischgewählte Bürgermeister noch am Sonntag zu und sagte, er wolle den Präsidenten bald besuchen. «Ich bin bereit, in Harmonie mit ihnen zusammenzuarbeiten und verlange danach. Das verkünde ich vor allen Istanbulern», sagte er.
Für Erdogan war das die «Schicksalswahl»
Das dürfte Erdogan sauer aufstossen. Er hatte Imamoglu einen «Lügner» genannt und ihm unter anderem vorgeworfen, einen Gouverneur beleidigt zu haben. Ansonsten aber hatte er in den vergangenen Wochen meist Imamoglus Gegner Yildrim in der ersten Reihe stehen lassen – möglicherweise, um sich selbst aus der Schusslinie zu nehmen.
Zwar sitzt Erdogan als Staatspräsident noch fest im Sattel – der nächsten Wahl muss er sich erst in vier Jahren stellen – doch im Internet wird er zum Rücktritt aufgerufen. Schon vor der Wahl im April hatte Erdogan die Istanbul-Wahl schliesslich zur «Schicksalswahl» erklärt. Die Wahlschlappe in der Stadt am Bosporus ist auch deswegen schmerzhaft für ihn, weil er hier 1994 als Bürgermeister seine politische Karriere gestartet hat.