Es ist die aktuell schärfste Waffe, die Europa und der Rest der Welt gegen Corona hat: BNT162b2, der Corona-Impfstoff von Biontech und Pfizer. Der ist heiss begehrt – und knapp!
Werden nicht bald weitere Impfstoffe zugelassen, kann es etwa die Schweiz allein aufgrund der bestellten Menge und der Lieferungen keinesfalls schaffen, wie geplant drei Viertel der Bevölkerung bis zum Sommer 2021 zu immunisieren. Hochrechnungen gehen frühestens von Frühjahr 2022 aus.
Lieferverzögerungen und Kühlprobleme bei Corona-Impfung
Zu wenig bestellt, zu langsame Produktion: Wie der Schweiz geht es vielen Ländern. Denn bisher wird der Impfstoff nur von Biontech und Pfizer selbst produziert. Üblicherweise vergehen vier Wochen zwischen Produktion und Freigabe des kontrollierten Vakzins. Im ersten Halbjahr 2021 sollen 250 Millionen Dosen hergestellt werden – weil pro Person zwei Dosen benötigt werden, das reicht aber nur für 125 Millionen Menschen. Allein Europa hat mehr als 741 Millionen Einwohner.
Dazu kommen logistische Probleme.
Nur einen Tag nachdem Europa mit der Impfaktion begann, mussten Biontech und Pfizer laut einem Bericht von «Deutsche Welle» am Montag schon Lieferverzögerungen für acht Länder bekanntgeben. Auch in Deutschland kam es zu Problemen. Wie der «Spiegel» berichtet, wollen Landkreise in Bayern 1000 Impfdosen wegschmeissen – weil die Kühlkette beim Transport unterbrochen war.
Sollten auch andere die Corona-Impfung herstellen dürfen?
«Eine Frage von Leben und Tod», nannte FDP-Chef Christian Lindner das Tempo der Impfaktion am Sonntag in einer «Bild»-Sendung. Und regte konkret eine «Krisenproduktion» an. Er will, dass die Corona-Impfung von anderen Herstellern per Lizenz produziert werden kann: «Die Regierung sollte mit der pharmazeutischen Industrie insgesamt prüfen: Wo gibt es noch Kapazitäten, die genutzt werden können für die Produktion eines Impfstoffs?»
Eine von Indien und Südafrika angeführte Allianz von Entwicklungs- und Schwellenländern fordert schon länger, während der Pandemie auf den Patentschutz zu verzichten. Denn während sich die reichen Industrienationen schon Impfdosen mehrerer Hersteller gesichert haben, werden nach Angaben von Amnesty International rund 70 arme Länder im nächsten Jahr nur einen von zehn Einwohnern gegen das Coronavirus impfen können. Mehrfach hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) in diesem Jahr bereits dazu aufgerufen, eine Corona-Impfung zum «Allgemeingut» zu machen.
Es gibt ein Vorbild zur Lösung: die HIV-Bekämpfung. Erst seit die WTO dort den Patentschutz 2003 aufweichte, können günstige Generika hergestellt werden. Auch den innovativen mRNA-Impfstoff könnten indische Labore in Pune offenbar herstellen – wenn man sie liesse. Doch bislang prallten die Forderungen der Initianten ab. Unter anderem sperrten sich die EU und die USA gegen eine Art «Enteignung» der Impfstoffhersteller, um den Wettbewerb nicht zu gefährden.
Der schwedisch-britische Konzern Astra Zeneca, dessen gemeinsam mit der Uni Oxford entwickelte Impfstoff in Grossbritannien kurz vor der Zulassung steht, geht mit gutem Beispiel voran: Er hat bereits eine Lizenzvereinbarung mit dem Serum Institute of India (SII) getroffen. Es soll Hunderte Millionen Dosen für Entwicklungs- und Schwellenländer herstellen.
Markus Söder: «Tempo muss massiv verstärkt werden»
Wem gehört der Corona-Impfstoff? Diese Frage ist knifflig – schliesslich berührt sie rechtliche, wirtschaftliche und ethische Fragen. Nun bekommt die Debatte in Deutschland, wo der Hersteller Biontech sitzt, neuen Rückenwind. Es erscheint ja auch ungerecht: Israel etwa, das früh viel Impfstoff bei den Mainzer Entwicklern bestellt hat, will bis März schon 60 Prozent der Bevölkerung impfen.
«Es gibt einfach zu wenig Impfstoff», sagte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (53, CSU) der «Bild am Sonntag». Und forderte: «Das Tempo der Produktion muss massiv verstärkt werden. Sonst müssen viele Menschen zu lange warten.» Neben FDP-Chef Christian Lindner will vor allem das linke Lager den Impfherstellern ans Patentrecht.
«Der Gesundheitsminister kann nach dem ersten Bevölkerungsschutzgesetz Unternehmen zwingen, anderen Unternehmen eine Lizenz zum Nachproduzieren zu gewähren», sagte der Linke-Gesundheitspolitik Achim Kessler (56) dem «Spiegel». Das müsse die Bundesregierung jetzt schnell tun. «Wenn die Bundesregierung jetzt nicht alle gesetzlichen Möglichkeiten ausschöpft, gefährdet sie zahllose Menschenleben.»
Spahn lehnt Lizenzvergabe ab
Doch Gesundheitsminister Jens Spahn (40) weigert sich. «Ich verstehe diesen Impfnationalismus nicht», erklärte der CDU-Politiker am Montag im ZDF auf die Frage, warum nicht mehr Impfstoff in Deutschland hergestellt werde. Die Produktion befinde sich in Deutschland, die Abfüllanlage des Biontech-Impfstoffes stehe in Belgien. «Wir sind in dieser Pandemie gut damit gefahren, uns europäisch zu vernetzen. Wir tun zusammen mit Biontech und Pfizer alles dafür, dass es zusätzliche Produktionsstätten in Deutschland geben kann.» Ziel sei es, noch im Februar oder März im hessischen Marburg eine zusätzliche Produktion möglich zu machen.
Spahn glaubt nicht, dass eine Lizenzvergabe einen zeitlichen Vorteil bietet. «Als könnte man die Impfstoffproduktion innerhalb von drei bis vier Wochen in Deutschland oder Europa beliebig hochfahren!», sagte er. Im Bereich der Arzneimittelherstellung seien Impfstoffe das «komplexeste und anspruchsvollste, was es gibt». Das brauche Vorlauf.
Wie die Debatte weitergeht, bleibt abzuwarten – auch im internationalen Kontext. Mehrere Impfstoffe stehen kurz vor der Zulassung oder gehen in die kritische Entwicklungsphase 3.
Fein raus ist auf jeden Fall ein Land: Kanada. Die Kanadier, die neben dem Impfstoff von Biontech/Pfizer auch das Vakzin von Moderna bereits zugelassen haben, haben sich im Verhältnis zur Bevölkerung (37,59 Millionen) mehr Impfstoffdosen gesichert als jedes andere Land. Und: Sie wollen teilen! Frühzeitig hat Kanada bekanntgegeben, Spendenmöglichkeiten zu prüfen. Nun bekräftigte Ministerpräsident Justin Trudeau (49) in einem Fernsehinterview: «Wenn wir mehr Impfungen haben als benötigt, werden wir die selbstverständlich mit der Welt teilen.»