In Como retten ein Priester und sein Team Flüchtlinge vor der Kälte
Don Giusto ist ihre letzte Hoffnung

Die Betreiber des Containerdorfs in Como (I) bleiben hart: Nur noch Minderjährige sowie Frauen mit Kindern dürfen ins Schlaflager. Die Flüchtlingshilfe ist über die Umstände empört, gibt der Schweiz eine Mitschuld.
Publiziert: 04.03.2017 um 18:32 Uhr
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Aktualisiert: 28.09.2018 um 18:51 Uhr
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Pater Don Giusto (55) auf dem vereisten Basketballfeld seiner Pfarrgemeinde.
Foto: Pablo Gianinazzi
Myrte Müller

In der Pfarrgemeinde von Rebbio in Como (I) beginnt die Nachtschicht. Es ist 21 Uhr. Carlo (42) fährt mit seinem alten Land Rover weg. Wenig später ist er wieder da. Er hat eine Gruppe zitternder Afrikaner an Bord. Bis zu 15 Mal rückt er in dieser Nacht aus. Die Temperaturen sind klirrend kalt. Auch das Herz der Grenzstadt ist kalt.

Erwachsene dürfen nicht ins Containerdorf

«Im Containerdorf nehmen sie keine Erwachsenen mehr auf», sagt Giusto Della Valle (55), «nur noch unbegleitete Minderjährige, Frauen mit Kindern. Die anderen können sehen, wo sie bleiben». Das habe die Präfektur so bestimmt und das Rote Kreuz füge sich.

Dabei gäbe es Platz genug im Durchgangslager, sagt der Pater. Von den 400 Betten seien nur 100  belegt. «Ja, im Sommer, da haben sie jeden reingelassen, weil der Bahnhof und der Park geräumt werden sollten. Heute aber interessiert sie die Not der Flüchtlinge nicht.» 

Der Priester und sein Trupp sind die Einzigen, die helfen. Im Pfarrhaus stapeln sich die Matratzen. Gespendet von Bürgern. Nachts werden sie auf dem Boden verteilt. 

Einige schaffen die Flucht nach Deutschland

Carlo düst wieder zum Containerdorf. Dort wurden Flüchtlinge abgewiesen. Auf dem Rückweg sieht er zwei weitere Afrikaner durch die Strassen irren. Auch sie werden aufgeladen. Sechs Flüchtlinge quetschen sich am Ende in den klapperigen Jeep. Jede Nacht gilt es, 50 bis 80 Menschen aufzulesen und unterzubringen. 

«Die meisten wollen nach Deutschland. Einige schaffen es auch. Mit Hilfe von Schleppern, die sich zunehmend in Como organisieren», sagt Don Giusto. 

Am 18. Februar verhaften Carabinieri vier Schlepper aus Ghana. Seit Oktober 2016 karrten sie über 200 Flüchtlinge nachts über kleine unbewachte Grenzübergänge – für umgerechnet 100 bis 165 Franken pro Person.

Im Pfarrhaus füllt Georgia Bordesi (24) Formulare der Neuankömmlinge aus. «Ordnung muss sein», sagt die junge Italienerin. Sie verhilft zu juristischem Beistand, vermittelt in Behörden. Und sie kümmert sich um die medizinische Versorgung.

Die Flüchtlinge sind physisch und psychisch erschöpft

Fast alle Flüchtlinge seien in diesen Tagen krank, sagt Georgia, «die Menschen sind erkältet, physisch und psychisch erschöpft». 

Alagie (17) aus Gambia hat hohes Fieber. Drei Nächte lang versuchte der Afrikaner, über die Grenze am Brenner nach Österreich zu gelangen. Vergebens. «Ich habe mit einem Freund im Schnee geschlafen», sagt Alagie. Schliesslich habe er sich nach Como durchgeschlagen. 

In einer Kammer flickt Landsmann John (42) die zerrissenen Kleider der Flüchtlinge. Der gelernte Schneider hat beim Pater eine neue Heimat gefunden. Er will nicht mehr weiter in die Schweiz.

Flüchtlinge mitten in der Nacht an die Grenze gestellt

Carlos nächstes Ziel: Der Grenzübergang in Ponte Chiasso TI. Es ist 23 Uhr. Mohamed (18) steht gleich hinter dem Schlagbaum – um die Schultern eine weisse Wolldecke. Spende einer Schweizer Touristin an den Jungen aus Guinea ohne Jacke. 

«Immer wieder stellen die Tessiner aufgegriffene Flüchtlinge mitten in der Nacht an die italienische Grenze», sagt Don Giusto, «sie sind mitschuldig an dem Elend hier in Como.»

Mohamed kommt nach Rebbio. Ein warmer Schlafplatz, eine warme Mahlzeit. Wenigstens für eine Nacht.

Gegen drei Uhr morgens hat Carlo endlich Feierabend. 59 Flüchtlinge hat er aus der Nacht geholt und untergebracht. Er ist zufrieden. 

«Sie kriegen bei mir eine Pizza und was zu trinken»

Nur Mohammed Khan (44) ist noch auf den Beinen. Sein Kebab Dogana direkt am Grenzposten in Chiasso hat bis um vier Uhr morgens geöffnet. Oft die letzte Zuflucht für so manchen Flüchtling.

«Diese Menschen wissen nicht wohin», erzählt der pakistanische Imbissstand-Besitzer, «dann dürfen sie sich bei mir aufwärmen. Manche haben kein Geld. Die kriegen von mir ein Stück Pizza geschenkt und etwas zu trinken.»

Um vier Uhr aber sei auch im Kebab Schluss. «Dann müssen die Flüchtlinge gehen. Sie tun mir schon leid», sagt Mohammed Khan. 

Lesen Sie morgen im SonntagsBlick: Der grosse Flüchtlings-Report.

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