Im Zentrum Belgrads grüsst am Strassenrand ein freundlich lächelnder Wladimir Putin von einer grossflächigen Plakatwand. In der Überschrift wird der Kreml-Chef als «vorbildlicher Slawe» gepriesen, sein Russland als «grosser slawischer Bruder».
Während westliche Touristen der Anblick eher irritieren dürfte, ist er für die Bewohner von Serbiens Hauptstadt selbsverständlich. In Belgrad wie auch im Rest des EU-Beitrittslandes ist Russland omnipräsent.
Unvergessen bleibt der pompöse Empfang für Wladimir Putin anlässlich des 70. Jahrestags der Befreiung Belgrads im Oktober 2014. Eigens für den russischen Präsidenten hatte man den Event damals um vier Tage vorverlegt.
So konnte Putin die grösste militärische Machtdemonstration seit Titos Tod im Jahr 1980 mitverfolgen und daran erinnern, dass es Einheiten der Roten Armee waren, die Belgrad 1944 zusammen mit jugoslawischen Partisanen befreit hatten. Die versammelte Menschenmenge bejubelte seine Rede mit frenetischen «Putin»-Rufen und sang lauthals die russische Nationalhymne.
Dass man mit der Einladung Putins die westlichen Diplomaten in Rage versetzt hatte – lehnt Serbien schliesslich als einziges Land unter den EU-Beitrittskandidaten die Brüsseler Sanktionen gegen Russland ab –, schien niemanden zu kümmern.
Mehrheit für enge Beziehungen mit Russland
Diese zur Schau getragene Verbundenheit mit Russland hat in Serbien nicht nur historische, sondern mitunter auch ganz pragmatische Gründe. Als im vergangenen Jahr auf dem Balkan die Flüsse über die Ufer traten, waren russische Helfer als erste vor Ort. Während in Brüssel noch über eine Hilfsaktion diskutiert wurde, schickte der Kreml bereits Hubschrauber, schweres Raumgerät und Care-Pakete, wie das «Handelsblatt» schreibt.
Seither stieg Putins Popularität stetig. Eine klare Mehrheit der Serben befürwortet inzwischen eine Annäherung an den «grossen Bruder». Bei einer von der Traditionszeitung «Politika» in Auftrag gegebenen, repräsentativen Umfrage haben jüngst mehr als 61 Prozent für «engste Beziehungen mit Russland» gestimmt.
Doch nicht nur in Serbien werden enge Beziehungen mit Moskau gepflegt, auch in anderen Balkan-Staaten sieht man Russland gerne als Verbündeten. «Putin ist gewissermassen unser Gott», verrät Darijo Marakovic (23) aus Bosnien-Herzegowina in einem Gespräch mit dem «Handelsblatt». Der junge Politologie-Student, der sich scherzhaft selbst als «Russe» bezeichnet, steht stellvertretend für eine neue prorussiche Bewegung Intellektueller in Serbien. Für Marakovic ist der Kreml-Chef ein Vorbild. «Putin bekommt immer, was er will.»
«Russland ist die einzige Hoffnung für den Balkan»
Für diesen prägenden Einfluss Russlands in den Balkan-Staaten gibt es laut Dusan Reljic, Balkan-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik, eine simple Begründung: «Die ökonomische Transition hat auf dem Balkan nach Ende des Sozialismus nur in Teilen funktioniert.» Die Versprechen der EU seien nicht eingehalten worden, wegen der stockenden Beitrittsverhandlungen gebe es die Gefahr eines grossen wirtschaftlichen Rückschrittes.
Deshalb prüfe man im Balkan derzeit intensiv «Gegenentwürfe zur EU». Allen voran in Serbien, wo man erst im Mai 2014 mit Russland eine «strategische Partnerschaft» eingegangen war. Beide Länder unterzeichneten einen auf 15 Jahre veranschlagten Vertrag über den Austausch von Aufklärungsinformationen und gemeinsame militärische Übungen. Experte Reljic: «Serbien ist auf Europakurs, hat jedoch Russland im Rückspiegel», sagt er. Das gelte in abgeschwächter Form für alle Länder des Balkans.
Oder um es mit den Worten Darijo Marakovic, dem Studenten aus Sarajevo, zu sagen: «Russland ist die einzige Hoffnung für den Balkan.» (gr)