Im Königreich bahnt sich Machtwechsel an
Thailand demütigt die Generäle

Neun Jahre nach dem Putsch steht Thailand vor dem Machtwechsel – wenn die schattenhafte Elite nicht wieder zu dubiosen Rechtsmitteln greift. Bei den Wahlen am Sonntag liegt die Opposition klar vorn. Respektieren die gedemütigten Putschgeneräle das Votum des Volkes?
Publiziert: 15.05.2023 um 00:07 Uhr
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Aktualisiert: 15.05.2023 um 08:25 Uhr
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Diese 36-Jährige – Paetongtarn Shinawatra – dürfte bei der neuen Regierungsbildung in Thailand ein paar Wörtchen mitzureden haben.
Foto: Keystone
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Daniel KestenholzRedaktor Nachtdienst

Ihre Uniformen haben sie abgelegt. Tatsächlich blieb Thailand seit dem Putsch 2014 und den Pseudowahlen 2019 von Generälen regiert. Die letzte Parlamentswahl vor vier Jahren gewann das konservative royalistische Lager mit Ach und Krach. Oppositionsparteien hatten deutlich mehr Stimmen erreicht. Doch wenn du sie nicht schlagen kannst, verbiete sie einfach, lautet die Devise der zivilen Juntaregierung. Am Sonntag hat Thailand wieder gewählt. Wiederholt sich die Geschichte? Nach vorläufigen Ergebnissen liegen die beiden pro-demokratischen Oppositionsparteien uneinholbar weit vorne. Thailand ist der alten Garde überdrüssig. Geht es im Königreich für einmal mit rechten Dingen zu, steht das Land der putschfreudigen Generäle vor dem Machtwechsel.

Die progressive Move-Forward-Partei (MFP) und die reformorientierte Partei Pheu Thai (PT) kamen am späten Abend (Ortszeit) nach Auszählung von knapp 99 Prozent der Wahlzettel zusammen auf 49 Prozent der 500 Sitze, hauchdünn an der absoluten Mehrheit kratzend. PT-Premierskandidatin Paetongtarn «Ung Ing» Shinawatra (36) warnte die Machthaber: Wer die meisten Stimmen erzielt, wird mit der Regierungsbildung beauftragt: «Die Stimme des Volkes ist am wichtigsten», so Paetongtarn, zwei Wochen nach der Geburt ihres zweiten Kindes, was sie kaum vom Wahlkampf abgehalten hatte.

Sie ist die dritte Spitzenvertreterin des politischen Clans Shinawatra, der schon zwei weggeputschte Regierungsführer vorweist. Ihr Vater Thaksin (73) und ihre Tante Yingluck (55) leben nach hanebüchenen Anschuldigungen im Exil und bangen um ihre Rückkehr in die Heimat. Doch so einfach wird es nicht, auch wenn die Stimme des Volkes deutlich ausfällt.

«Zeit für Wandel»

Die Wahlen gewinnen dürften die Senkrechtstarter der MFP. Von der Elite belächelte engagierte Jungpolitiker bringen den Generationswechsel. Schon 2019 hatten es die beherzten jungen Oppositionellen auf Anhieb zur zweitstärksten Partei des Landes geschafft – und wurden unter fadenscheinigen Vorwürfen verboten. Auch die Nachfolgepartei gibt sich königskritisch. Die Verfassung soll modernisiert und der umstrittene Artikel 112 zu Majestätsbeleidigung aufgehoben werden; das Gesetz, das Leute wegen Bagatellen jahrzehntelang hinter Gitter sperrt.

Der de facto seit 2014 ungewählte Machthaber Prayuth Chan-ocha (69) droht seinen Gegnern, sollten sie Artikel 112 anzurühren wagen. König Vajiralongkorn (70) geniesst nicht die Nähe zum Volk wie sein Vater, Monarch Bhumibol (1927–2016). Doch mit der Verteidigung der Krone geht es auch um die Verteidigung immenser Reichtümer und Privilegien.

«In Thailand ist es Zeit für einen Wandel», sagte Move-Forward-Chef Pita Limjaroenrat (42) am Sonntag. Ein Schulterschluss der Opposition sei der perfekte Weg, um die Herausforderungen zu bewältigen, vor denen das Land stehe. Dies, während MFP im Vorfeld der Wahlen wieder mit Parteiauflösung gedroht wurde. Punkt 12 Uhr mittags will Pita den Wahlsieg verkünden und dass MFP «die Schlüsselpartei bei der Regierungsbildung sein wird», schrieb er in der Nacht auf Twitter.

Notbremse Senat

Zu früh, um Prayut mit seiner United Thai Nation Party abzuschreiben. Zwar liegen die und ihre Verbündeten weit hinten. Dennoch könnte der 69-Jährige an der Macht bleiben. Sein mächtiger Schattenmann und Vize Prawit Wongsuwan (77), laut Eingeweihten die wahre Macht im Königreich neben dem Palast, wird die Schmach nicht tatenlos auf sich sitzen lassen. Schon nach dem Militärputsch von 2014 sorgten die Generäle vor. Sie änderten die Verfassung zu ihren Gunsten. Zusammen mit den 500 Abgeordneten entscheiden auch 250 ungewählte, vom Militär ernannte Senatoren über den künftigen Regierungschef. Es gilt als unwahrscheinlich, dass sie einen Shinawatra- oder MFP-Kandidaten unterstützen.

Als das Zünglein an der Waage könnte sich die bisherige Regierungspartei Bhumjaithai (BJT) mit ihrem vorläufig dritten Rang erweisen. BJT war oft selber auf Kollisionskurs mit den Dinosauriern in der Koalition und gab sich offen für einen Seitenwechsel. Zudem ist fraglich, ob Prayuth und Getreue es erneut wagen werden, den Willen des Volkes abermals zu beugen. Ein neuerlicher Machtklau unter dem Feigenblatt einer getürkten Verfassung könnte der Katalysator sein, dass sich Bangkoks Strassen nach Jahren der angespannten Ruhe wieder mit blutigen Antiregierungsprotesten füllen.

Die vorläufigen Ergebnisse werden am Montag um 10.30 Uhr (5.30 Uhr MESZ) bekannt gegeben. Die Wahlbehörde untersucht eine Reihe von Auszählungsproblemen, darunter Kandidaten, die mehr Stimmen erhalten haben als die tatsächliche Stimmenzahl.

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