«Als erstes habe ich es durch die Medien erfahren»
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Albaner über Flüchtlings-Camp:«Als erstes habe ich es durch die Medien erfahren»

Im italienischen Flüchtlingscamp in Albanien sind Medien unerwünscht – Blick war trotzdem da
«Was willst du hier?»

Italien will Migrationsgeschichte schreiben und Asylsuchende künftig in Albanien unterbringen. Mitten im Touristen-Ort Shëngjin wurde nun ein italienisches Flüchtlingslager eröffnet: hier gilt nun italienisches Gesetz. Eine Reportage.
Publiziert: 02.11.2024 um 14:26 Uhr
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Aktualisiert: 02.11.2024 um 15:26 Uhr
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«Was kümmert uns das Flüchtlingslager», sagt dieser Fischer am Strand von Shëngjin in Albanien. «Wir haben genug Probleme.»
Foto: Helena Graf

Auf einen Blick

  • Italien will Asylsuchende in neu gebaute Flüchtlingszentren in Albanien schicken
  • Albanische Bevölkerung wusste nichts von Vorhaben
  • Italienische Angestellte übernachten in 4-Sterne-Hotel
  • Wegen Gerichtsentscheid stehen Zentren nun leer
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Helena GrafReporterin

«Was willst du hier?», knurrt der Sicherheitsbeamte an der Einfahrt des Hafens von Shëngjin, Albanien. Eine Barriere versperrt den Weg zu den Docks. In der Ferne weht eine EU-Flagge. «Was interessiert dich dieser Hafen? Mir ist egal, ob du Journalistin bist. Ich mache hier die Regeln. Und dich lasse ich nicht rein», sagt der Beamte, dreht sich um und verschwindet in seinem Büro.

Seit wenigen Wochen beherbergt der Hafen von Shëngjin eine italienische Exklave: Zweistöckige Container, umzäunt. Ein Zentrum für Flüchtlinge, die in Italien Asyl suchen – inmitten der aufstrebenden albanischen Touristen-Stadt. 

Letztes Jahr hat Albaniens Premierminister Edi Rama mit Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni ein Abkommen beschlossen: Asylsuchende, die auf dem Mittelmeer aufgegriffen werden, sollen nach Albanien kommen, um ihr Asylgesuch prüfen zu lassen. Im Gegenzug erhält Albanien 16 Millionen Euro. Ausserdem würde die lokale Wirtschaft angekurbelt, so das Versprechen der Meloni-Regierung.

«Unser Premierminister kontrolliert die Medien»

Die Europäische Union blickt gespannt nach Albanien. Es sei gut, dass Italien die Möglichkeit ausprobiere, Migranten ausserhalb der EU zu platzieren, sagte etwa Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission.

Auf dem Gelände des Zentrums in Gjadër befindet sich auch ein Gefängnis.
Foto: Helena Graf

Vom Aufnahmezentrum am Hafen sollen die Flüchtlinge in ein Lager in Gjadër, weiter im Landesinnern, kommen. Bis zu 3000 Menschen hätten dort Platz. Wir klingeln am Eingangstor zum Lager. Ein italienischer Beamter nimmt uns die ID ab, verschwindet im Zentrum. Sein Kollege erzählt, gerade sei eine Kameracrew aus Albanien da, vielleicht könnten wir nachher ein Interview machen. Wenige Minuten später kehrt der Beamte zurück, erteilt uns eine Absage.

«Lass mich raten, die Kameracrew arbeitete für Blendi Fevziu», sagt Sidorela Vatnikaj, Menschenrechtsaktivistin in Albanien. Fevziu ist Moderator der meist gesehenen albanischen Talkshow «Opinion». Vatnikaj hat recht mit ihrer Vermutung, sie erklärt: «Unser Premierminister kontrolliert die meisten inländischen Medien. Auf ausländische Berichterstattung kann er wenig Einfluss nehmen – deshalb lassen sie dich nicht rein.»

«Ich dachte zuerst, sie bauen ein Gefängnis»

Die Folge: Bewohner wie Ferit Morkas, der direkt neben dem Lager in Gjadër wohnt, wissen lange Zeit nichts vom Abkommen zwischen ihrer Regierung und Meloni. «Vor einigen Monaten fuhren Lastwagen vor, veranstalteten einen riesigen Lärm», erzählt Morkas im Garten seines selbstgebauten Hauses, das winzig erscheint im Vergleich zum meterhohen Metallzaun des italienischen Zentrums gegenüber. «Ich dachte zuerst, sie bauen ein Gefängnis.»

Ferit Morkas Grundstück grenzt an das Lager in Gjadër. Er wusste nichts vom Migrations-Abkommen zwischen Albanien und Italien.
Foto: Helena Graf

Unter den Einwohnern von Gjadër kursieren Gerüchte. «Ich habe gehört, dass viele Flüchtlinge, die hierherkommen sollen, eine kriminelle Vergangenheit haben», sagt ein Bewohner, der anonym bleiben möchte. «Ich meine, warum sonst bauen sie einen so hohen Zaun? Oder weisst du etwa, was die da drin machen?»

Eine gute Frage. Momentan stehen die Flüchtlingszentren nämlich leer. Die ersten Migranten, die vor zwei Wochen hätten einziehen sollen, wurden kurz nach der Ankunft in Shëngjin nach Italien gebracht. Ein Gericht in Rom hatte entschieden, dass es illegal sei, ihre Asylgesuche in Albanien zu prüfen.

«Das Lager ist eine riesige Chance für uns»

Am Strand von Shëngjin verkaufen einige Fischer ihre Ware. «Was kümmert uns das Flüchtlingslager. Wir verkaufen Fische an Albaner, nun auch an die italienischen Beamten», sagt einer von ihnen. Die Menschen hier hätten selber genug Probleme.

Albanien gehört zu den ärmsten Ländern Europas. Seit dem Zerfall des Kommunismus 1991 haben 40 Prozent der Bevölkerung das Land verlassen. Vor allem gut ausgebildete, junge Menschen wandern aus, hoffen auf eine bessere Zukunft. Ein Bewohner von Gjadër sagt: «Die Flüchtlinge haben eine Klimaanlage und Strom. Manche Einheimische haben das nicht.»

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«Unsere Regierung weiss, was am Besten ist», sagt Aleksander Preka, Bürgermeister von Gjadër.
Foto: Helena Graf

Aleksander Preka ist der «Älteste» in Gjadër, also eine Art Bürgermeister. Er trägt ein Pullover in der Farbe von Edi Ramas sozialistischer Partei. «Das Lager ist eine riesige Chance für uns. Albanische Arbeitskräfte wurden gebraucht, um es zu bauen», sagt er.

«Sprechen Sie keine albanischen Frauen an»

Jeder, der sich gegen das Abkommen zwischen Rama und Meloni ausspreche, mache Propaganda gegen die Regierung. «Dabei weiss unsere Regierung am Besten, was gut für Albanien ist», so Preka

In den neu gebauten italienischen Zentren arbeiten ausschliesslich italienische Beamte, es gilt italienisches Recht. Bei ihrer Ankunft haben die rund 500 Angestellten einen Leitfaden erhalten. Darin heisst es etwa: «Trinken Sie Kaffee nicht an der Theke. In Albanien tut man das im Sitzen.» Oder: «Sprechen Sie keine albanischen Frauen an. Deren Mann könnte schlecht reagieren.»

Die italienischen Angestellten des Flüchtlingszentrums wohnen im 4-Sterne-Hotel Raffaelo.
Foto: Helena Graf

Die italienischen Beamten wohnen im Hotel Rafaelo, einem 4-Sterne-Resort mit Spa in Shëngjin. Vor dem Haupteingang des Hotels thront eine kleine Version der amerikanischen Freiheitsstatue. Carabinieri fahren vor. Das Gelände wird bewacht. Als wir ein Bild aufnehmen, folgen uns die Sicherheitsbeamten, fotografieren uns. «Haut ab», sagt ein Hotelgast auf italienisch. «Wir haben Feierabend.»

Nach dem Gerichtsentscheid in Rom hat Giorgia Meloni Änderungen in der italienischen Legislative angekündigt. Sie ist weiterhin entschlossen, das Abkommen durchzusetzen. Die Aktivistin Sidorela Vatnikaj vermutet, dass Italien kleinere Gruppen von Flüchtlingen in den Zentren in Albanien unterbringen wird: «Aber das wäre eher eine Show, um in den Augen der Wähler nicht versagt zu haben», sagt sie.

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