Im Europa-Park ist Südeuropa ein Traum
Griechenland - so wie es die Deutschen gerne hätten

Der Ort, der wie eine Traumwelt wirkt, im Dreiländereck zwischen Frankreich, Deutschland und der Schweiz gelegen, der Europa-Park. Eine Welt, die die Realität ausblendet. Eine Realität, die Europa durch eine Dauerkrise in Atem hält. BLICK fragt die Gäste in Rust, was sie von der Krise halten.
Publiziert: 16.07.2015 um 15:56 Uhr
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Aktualisiert: 14.10.2018 um 00:59 Uhr
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Eine idyllische Traumwelt, dieses Griechenland. Die Achterbahn «Poseidon» im Europa-Park.
Foto: Stefan Bohrer
Von Adrian Meyer

Es gibt ein Europa, da sind die Hecken sauber gestutzt, nirgends liegt Abfall, Züge fahren pünktlich. Menschen sind glücklich und sie lieben ihre Nachbarn. In jedem Land, das sie besuchen, arbeiten alle für ein über­geordnetes Ziel: den Erfolg ihres Kontinents.

Es ist ein Stück europäische Utopie, gebaut auf 95 Hektar Parkland im Dreiländereck zwischen Frankreich, Deutschland und der Schweiz: der Europa-Park im badischen Rust (D). Fünf Mil­lionen Gäste zählt er jährlich. Für einen oder mehrere Tage geben sich diese dem Achterbahnspass hin, bestaunen die detailreiche, hübsch gebaute Kulisse. Sie essen, trinken – und sind zufrieden.

Das europäische Projekt ausserhalb von Rust hingegen wankt. Im Europa der Dauerkrise werden die Gräben zwischen den Nationen tiefer. Die Grundsätze der Union rücken in den Hintergrund: in Vielfalt geeint, nie wieder Krieg, eine immer tiefere Integration. Freiheit, Gleichheit, Solidarität zwischen den Völkern. Wenige schwärmen heute noch von ­diesen Ideen.

In Rust hingegen läuft Europa perfekt. 1700 Kilometer südöstlich, in Athen, hat der griechische Premier Alexis Tsipras (40) eben ein Reformpaket unterschrieben. Manche bezeichnen es als Kolonialvertrag, als Coup der Eurozone.

Im Europa-Park ist Griechenland so, wie es die Deutschen in der Realität gerne sähen. Es funktioniert tadellos. Die Strassen blitzblank, das Dorf idyllisch. Die Häuschen sind weiss-blau, daneben steht eine alte Windmühle, aus Lautsprechern klingt die traditionelle Bouzouki in Dauerschleife. Im Res­taurant gibt es Gyros, Bifteki und deutsches Weissbier. Die Menschen stehen hier nicht vor Bancomaten Schlange, sondern vor der lustigen Wasserbahn Poseidon.

Dieses Griechenland ist eine heile Welt. Bloss finden sich darin keine echten Griechen mit echten Problemen. In Trachten arbeiten Deutsche und Franzosen. Sie räumen den Müll weg, servieren Essen, weisen die Leute ein. Nebenrollen in einer Traumwelt. Bizarre Unterhaltung mit dem deutschen Per­sonal am Tresen der Mykonos-Taverne: «Arbeiten hier in Griechenland Griechen?», fragen wir. «Ja, wir haben zwei Griechen. Sie sind heute aber nicht da.» – «Gibt es in Griechenland einen Bancomaten?» – «Nee, da müssen Sie rüber nach Russland.» Ein Scherz, der für reale Ängste steht. Was, wenn die Griechen ihre Hilfe bei Wladimir Putin ­suchen?

Drüben, am Kassandra-Kiosk, sitzt eine junge Frau, braungebrannt, schwarzes Haar. Sie könnte Griechin sein. Was hält sie von der Griechenland-Krise? Sie lacht. Aus Kenzingen (D) stammt sie, keine zehn Minuten vom Eu­ropa-Park entfernt. Dass sie als Deutsche in Griechenland arbeite, sei witzig. «Die Gäste machen wegen der Krise immer wieder Scherze», sagt sie. «Ob wir den Tsipras auch gegrillt haben. Ob wir bald pleite seien, bei diesen Preisen.»

Das Leid des griechischen Volkes ist hier weit weg. Im Europa-Park sollen die Menschen Spass haben. Und möglichst viel konsumieren. Die europäische Kultur und ihre Werte sind bloss Kulisse.

Den Zwergenkontinent regieren die Brüder Roland (65) und Jürgen Mack (57). Seit Jahrzehnten sorgt ihre Familie dafür, dass jedes Land funktioniert. Eine für Besucher unsichtbare Macht, welche Regeln und Verhaltensweisen diktiert. Und Probleme diskret löst.

«Der Europa-Park war eine Vision», sagt Inhaber Jürgen Mack. «Ein Vorgriff auf die Entwicklung, dass Europa zusammenrückt und sich die Grenzen öffnen.» Bereits Jahre vor der Einführung des Euro hatte der 1975 eröffnete Park seine eigene Eu­ropa-Währung: Ab 1997 konnte man Deutsche Mark, Französische Francs und Schweizer Franken in Euro-Münzen des Parks wechseln und damit bezahlen.

Jürgen Mack ist besorgt über das kriselnde Europa. Lieber wäre ihm, wenn alle EU-Länder an einem Strick ziehen und die Probleme gemeinsam lösen würden, anstatt Grundsätze in Frage zu stellen. «Das ist die ein­zige Chance», sagt er. «Jedes Land alleine ist zu schwach.»

Wir wollen versuchen, die deutschen Gäste von der Traumwelt in die Krisenrealität zu holen. Vor der Poseidon-Achterbahn starten wir eine kleine Umfrage. Alle paar Sekunden kreischt es im Hintergrund. Immer wenn einer der Achterbahnwagen in die Tiefe stürzt.

Mit ernster Miene fragen wir: Was läuft falsch in dieser Sache mit Griechenland? «Es geht nur noch um Geld, nicht mehr um die Menschen», sagt Heiko Menzel (50) aus Nordrhein-Westfalen. Er macht mit seiner Familie Ferien im Park. «Die einfachen Griechen tragen doch keine Schuld.»

Mit den Rettungspaketen werde etwas künstlich am Leben gehalten, was gar nicht funktioniere. Das sagen Felix Klenk (28) und Julia Gelbing (28) aus Stuttgart. «Hilfspakete ohne Ende und in ein, zwei Jahren sind wir doch wieder am gleichen Punkt», sagt er. Da man das Geld eh nicht wiedersehe, brauche es dringend einen Schuldenschnitt. Sie ist dagegen. Doch er findet: «Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.»

Viele sind von Europa überzeugt. Kaum jemand stellt die Eurozone in Frage. Die meisten wollen zusammenhalten, erst recht in Zeiten der Krise. Finden sich hier keine AfD-Anhänger? Will niemand den Grexit?

Jan Schall (30) und Anna Fischer (28) aus Waldshut (D) sind zwar entschiedene Euro­päer. Und der Euro sei eigentlich keine schlechte Sache. Aber die Griechen tanzten den Deutschen auf der Nase herum. «Wir arbeiten bis 67 und sollen denen die Frührente bezahlen?», sagt sie. Er nickt und sagt, sie hätten den Überblick längst verloren. Wer die Wahrheit erzählt, wissen sie nicht mehr. Immerhin, sogar im Europa-Park gibt es Zweifler.

Am späten Nachmittag kramen im griechischen Souvenir­laden ein paar müde Gesichter im Sortiment aus Plüschbären, Europa-Park-T-Shirts und Süssigkeiten. In einer Ecke steht ein Kübel voller Griechenland-Flaggen, drei Euro das Stück. Die Verkäuferin sagt: «Die verkaufen wir kaum noch.» Nicht mehr so wie bei der Eröffnung des griechischen Themenparks. Damals, im Jahr 2001, als die Griechen der Währungsunion beitraten. Eine Zeit der Euphorie, des Aufbruchs. Eine Ewigkeit her.

Wir greifen uns eine Flagge, schwenken sie draussen vor dem Poseidon-Tempel. Wir rufen: «Solidarität mit Griechenland!» Und ernten irritierte Blicke. Ein bisschen Aufruhr, immerhin.

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