Seit Wochen gehen weltweit Tausende von Menschen auf die Strasse, um gegen Rassismus und Polizeigewalt zu demonstrieren. Der Auslöser dafür ist der gewaltsame Tod des Afroamerikaners George Floyd (†46) am 25. Mai. Der Mann starb bei der Verhaftung, nachdem der weisse Polizist Derek Chauvin ihm über acht Minuten lang sein Knie in den Nacken rammte. Der 44-Jährige ist des Mordes angeklagt.
Die Demonstrationen der «Black Lives Matter»-Bewegung laufen unter dem Slogan «I can't breathe» («Ich kann nicht atmen»). Das waren die letzten Worte von Floyd.
Byron Williams rief auch «I can't breathe»
Neun Monate zuvor rief sie auch ein anderer Mann. Auch er war schwarz. Auch er wurde von der Polizei festgenommen. Auch er starb dabei. Doch nach seinem Tod gab es weder Festnahmen noch eine Anklage. Und auch keine Massenproteste. Seine Familie fordert nun ebenfalls Gerechtigkeit, schreibt «NBC News».
Byron Williams (†50) war am 5. September in Las Vegas mit seinem Velo unterwegs. Weil er kein Licht anhatte, wurde er von der Polizei angehalten. Williams versuchte wegzurennen, wurde aber kurze Zeit später von Benjamin Vasquez (27) und Patrick Campbell (28) geschnappt.
Ein Video zeigt, wie der Mann zu Boden gedrückt wird und ihm Handschellen angelegt werden. Dabei knien die Polizisten auf seinen Rücken. Williams ruft 17 Mal «Ich kann nicht atmen». Knapp eine Stunde nach der Verhaftung stirbt er im Spital.
Polizei zeigte nur einen Teil des Videos
Sein Tod erregte allerdings kaum Aufmerksamkeit. Bei einer Kundgebung liefen rund zwei Dutzend Personen mit. «Es hat weh getan, dass nicht so viele Leute kamen», sagt Jeffery Thompkins (32), der Stiefsohn des Verstorbenen.
Die Familie des Mannes und Bürgerrechtsaktivisten glauben, das hänge damit zusammen, dass die Polizei nur einen Teil des Videos freigegeben hatte. Auch habe es keine anderen Zeugen gegeben, die – wie im Falle von Floyd – selber ihr Handy auf die Szene draufhielten.
«Du hast nur etwas Druck auf dem Hintern»
Drei Tage nach dem Tod des Mannes bekam seine Familie auf dem Polizeiposten sämtliche Aufnahmen der Bodycams zu sehen. Und die zeigen noch viel schlimmere Szenen: «Als er wiederholt ‹Ich kann nicht atmen› ruft, antwortet einer der Polizisten: ‹Ja, weil Sie vom Weglaufen müde sind.›», schildern der Stiefsohn und seine Mutter das Gesehene.
Weiter zeigt das Video einen dritten Polizisten, der eine Minute später zu Vasquez und Campbell dazukommt. Zusammen mit einem seiner Kollegen kniet er auf dem Rücken des Mannes für weitere 30 Sekunden. «Du hast nur etwas Druck auf deinem Hintern», sagen die Polizisten, als der Velofahrer erneut wegen Atemnot klagt.
Einige Zeit später treffen weitere Polizisten ein und stellen Williams auf die Füsse. Da erschlafft sein Körper. «Stehen Sie auf!», fordert ihn ein Polizist auf. Doch nichts passiert. Also schleifen sie den Verhafteten hinter sich her. Diesen Teil des Videos zeigte die Polizei später bei einer Pressekonferenz.
Bauchlage ebenfalls Schuld am Tod
Der Familie zufolge habe Williams auf einer Videoaufnahme auch um medizinische Hilfe gebeten. Die Polizisten hätte jedoch gesagt, keiner würde kommen, um ihm zu helfen. Dann soll man nichts mehr vom 50-Jährigen gehört haben.
Das der Familie gezeigte Video endet offenbar mit Rettungssanitätern bei einer Wiederbelebung. «Sie sagten uns, er sei im Spital gestorben. Aber als wir die Videos sahen, sah es danach aus, dass er bereits dort am Boden tot war. Und wofür? Wegen eines dämlichen Velolichts», sagt Thompkins.
Gemäss dem Bericht der Gerichtsmediziner starb Williams an einer Methamphetaminvergiftung. Sein Tod wurde durch Herz- und Lungenkrankheiten begünstigt. Ebenfalls erwähnt der Gerichtsmediziner seine Bauchlage, die offenbar dazu führte, dass er zu wenig Luft bekam.
Die beteiligten Beamten wurden nie angeklagt. «Die Polizei hatte der Öffentlichkeit ihre Version der Geschichte erzählt, so wie sie es wollte. Niemand hat das gesehen, was wir gesehen haben», sagt Williams' Stiefsohn.
«Verdächtige sagen oft Dinge, um abzulenken»
Die Polizei gab an, der Mann habe bei der Verhaftung versucht, Drogen zu verstecken. Er sei auch bei Bewusstsein gewesen und habe kommuniziert. Auf die Frage eines Reporters, warum man nicht auf das «Ich kann nicht atmen» reagiert habe, antwortete Sheriff Charles Hank bei der Medienkonferenz, dass «Verdächtige bei Verfolgungsjagden oft ausser Atem geraten». «Verdächtige sagen oft Dinge, um die Beamten von etwas abzulenken», sagte er.
Verärgert über die Art und Weise, wie die Beamten die Informationen über Williams' Tod präsentierten, verlangte die Familie des Verstorbenen, dass die Polizei sämtliche Videos der Bodycams veröffentlicht.
Wie «NBC News» berichtet, soll die Staatsanwaltschaft eine Überprüfung des Falls angeordnet haben. (man)
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