«Ich ging raus und weinte und weinte»
Ukrainische Psychologin über kastrierte Soldaten

Ukrainische Soldaten in Kriegsgefangenschaft werden von Russen oft gefoltert und gequält – einige sogar kastriert. Eine Psychologin erzählt von der Schwierigkeit, die Männer zu behandeln.
Publiziert: 19.06.2023 um 04:21 Uhr
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Aktualisiert: 19.06.2023 um 08:58 Uhr
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Ein verwundeter ukrainischer Soldat wird behandelt (Symbolbild).
Foto: Anadolu Agency via Getty Images

Es sind Videos, die unmenschliche Grausamkeiten zeigen: Ein ukrainischer Soldat liegt auf dem Bauch, ein russischer Soldat mit blauen OP-Handschuhen steht hinter ihm, das Teppichmesser in der Hand. Später wird das Opfer tot gezeigt – seine abgeschnittenen Genitalien im Mund. Diese Aufnahmen verbreiteten russische Telegram-Kanäle, Angst und Schrecken sollten so in der Ukraine gesät werden.

Einige Kriegsgefangene erleiden dieselbe Tortur – und überleben. Eine ukrainische Psychologin behandelt zwei Opfer, die im Rahmen eines Gefangenenaustauschs freikamen. Die 41-jährige Anschelika Jatsenko erzählt der englischen «The Sunday Times», wie schwierig es ist, den Horror zu verarbeiten.

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«Ich dachte, ich sterbe an Blutvergiftung»

Als die beiden Soldaten, 25 und 28 Jahre alt, ihr erzählten, was die russischen Folterknechte mit ihnen angestellt hatten, habe sie sich das erste Mal in ihrer Karriere nicht wie eine professionelle Psychologin verhalten. Jatsenko sagt: «Ich entschuldigte mich, sagte, ich müsste auf die Toilette, ging raus und weinte und weinte.»

Die beiden jungen Männer erzählten ihr, dass sie in Haft zusammengeschlagen worden seien, dass betrunkene Russen sie dann mit einem Messer kastriert hätten. Sie glaubten beide, dass sie an diesen schweren Verletzungen sterben würden. «Einer von ihnen sagte mir ‹Ich weiss nicht, wie ich immer noch lebe, da war so viel Blut, ich dachte, ich sterbe an Blutvergiftung.›»

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«Das Schlimmste, was einem jungen Mann passieren kann»

Die Männer sind durch ihre Verletzungen suizidgefährdet, nehmen Antidepressiva. Es sei nicht nur der körperliche Schaden, sondern vor allem eine seelische Belastung, sagt Jatsenko zur «Sunday Times»: «Stellen Sie sich vor, sie sind zwei junge Männer, die gerade in ihr sexuelles Leben starteten und in einer Sekunde ist alles vorbei. Sie fühlen immer noch etwas, sie sind voller Hormone, aber sie können nichts tun. Sie werden niemals sexuell aktiv sein. Das ist das Schlimmste, was einem jungen Mann passieren kann.»

Jatsenko versucht, Ablenkung für die Männer zu finden. Mit ihren Familien und Freunden wollen sie über das Erlebte nicht sprechen. «Ihre Würde wurde so sehr beschädigt und das kann man nicht vergessen. Die Russen sagten ihnen: ‹Wir machen das, damit ihr keine Kinder mehr haben könnt.› Für mich ist das Genozid.»

Einer der beiden will nun trotz seiner Verletzung zurück an die Front. «Er bestand darauf», sagte sie. «Er sagt, er wird gebraucht und es ist einfacher, an einem Ort zu sein, an dem es keine Frauen gibt. Ich schätze, wenn man bedenkt, was passiert ist, will er Russen töten gehen.»

Sexuelle Gewalt als Kriegsstrategie

Die Uno hatte Russland bereits vergangenes Jahr kritisiert, sexuelle Gewalt als Teil einer militärischen Strategie einzusetzen. Sexuelle Entwürdigung sei eine bewusste Taktik Moskaus.

Pramila Patten (64), die Uno-Sonderbeauftragte für sexuelle Gewalt bei Konflikten, sagte Ende 2022 der AFP: «Wenn Frauen tagelang festgehalten und vergewaltigt werden, wenn man anfängt, kleine Jungen und Männer zu vergewaltigen, wenn man eine Reihe von Genitalverstümmelungen sieht, wenn man von Frauen hört, die über russische Soldaten berichten, die mit Viagra ausgerüstet sind, dann ist das eindeutig eine militärische Strategie.» (neo)

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