Als das Patrouillenschiff LE Niamh der irischen Marine gestern am frühen Nachmittag in Sichtweite des Fischerboots kam, geschah die Tragödie. Die Flüchtlinge auf dem Kutter drängten sich in Richtung der Retter, das Boot kippte. Hunderte Menschen seien ins Wasser geschleudert worden, berichtet die Marine. Das Boot sei «innert weniger als zwei Minuten» gesunken.
Bei der jüngsten Flüchtlingskatastrophe auf dem Mittelmeer, rund 25 Kilometer vor der libyschen Küste, kamen wahrscheinlich Hunderte Migranten ums Leben. 25 Leichen hätten bislang geborgen werden können, teilte die irische Marine mit, 400 Personen wurden laut der italienischen Küstenwache gerettet. Mit 367 Überlebenden und den Opfern an Bord nahm die «LE Niamh» gestern Abend Kurs auf Palermo.
Boote der italienischen Marine, zwei Rettungsschiffe von Médecins Sans Frontières (MSF) und die «MV Phoenix» der privaten Rettungsmission MOAS aus Malta sowie mehrere Helikopter führten die Rettungsoperation derweil weiter. Bis 700 Flüchtlinge sollen sich an Bord des völlig überladenen Fischkutters befunden haben, viele von ihnen waren offenbar in den Laderaum des Holzschiffes gepfercht. Die Wahrscheinlichkeit, dass Überlebende gefunden werden, sinkt mit jeder Minute.
Vater rettete sein Baby
Auch einige kleine Kinder waren an Bord, darunter die einjährige Azeel aus Palästina. Das Mädchen habe sich bereits unter Wasser befunden, als es seinem Vater Mohamed gelang, es zu packen und an die Oberfläche zu ziehen, berichtet Medecins Sans Frontières. Auch Mutter Diana soll das Unglück überlebt haben und sich nun zusammen mit ihrer Familie an Bord des MSF-Rettungsschiffs «Dignity One» befinden.
Auch eine werdende Mutter konnte lebend aus dem Wasser gezogen werden. Die junge Frau Azah ist laut MSF ist im fünften Monat schwanger. «Sie lebt, nun untersuchen wir die Gesundheit des Kindes», schreibt die Hilfsorganisation auf Twitter. Ihr Mann habe sie gerettet.
Flüchtlinge kämpften um ihr Leben
Den Rettern von MSF hatte sich ein tragischer Anblick geboten, als sie als zweites Schiff den Unglücksort erreichten. Die Menschen hätten sich verzweifelt an Rettungsgurte, Boote und alles weitere geklammert, «um um ihr Leben zu kämpfen – unter Menschen, die ertranken und solchen, die bereits tot waren», sagt Juan Matias, MSF-Koordinator, der sich an Bord des Rettungsschiffes befindet.
Die «Dignity I» sei eigentlich als erstes zu Hilfe gerufen worden, habe dann aber erst zu einem anderen Schiff in Not fahren müssen, erzählt er. Dies zeige «den ernsthaften Mangel an für Rettungsoperationen verfügbaren Ressourcen», kritisiert die Organisation – noch immer.
Im vergangenen April hatte die EU das Budget für die Mission Triton der Grenzschutzagentur Frontex verdreifacht, nachdem bei einer Flüchtlings-Tragödie 850 Migranten im Mittelmeer ertrunken waren. Menschenrechtsorganisationen hatten bereits damals beklagt, dass die getroffenen Massnahmen angesichts des wachsenden Stroms an Flüchtlingen, die die gefährliche Überfahrt wagen, nicht ausreichen. Knapp 100'000 Menschen sind seit Anfang Jahr bereits über das Mittelmeer nach Italien gelangt. Über 2000 kostete die Reise das Leben. (lha)